Pflegebedürftige Eltern – Eure Pflege macht mich krank! 

fachlich geprüft von Riccardo Frink

Der Alltag kann sich schnell wie ein nie endender Marathon anfühlen: Aufstehen, die Kinder in die Kita oder Schule bringen, arbeiten, kochen, bei den Hausaufgaben helfen, den Haushalt managen – und dann auch noch die Eltern pflegen. Wer all diese Care-Arbeit leistet, weiß, wie überfordernd und erschöpfend es sein kann.

Die Verantwortung für deine älter werdenden Eltern kann eine immense Belastung darstellen. Gefühle von Schuld, Trauer und Verzweiflung tauchen oft auf. Du möchtest für deine Eltern da sein, aber auch dein eigenes Leben führen. Doch nicht nur dein Job und deine Kinder leiden unter der Doppelbelastung – auch du gerätst an deine Grenzen. Viele erleben diesen Zustand als so belastend, dass sie selbst krank werden: Burnout, Depressionen oder psychosomatische Beschwerden sind keine Seltenheit.

Es ist normal, sich überfordert zu fühlen – viele stehen vor der gleichen Herausforderung wie du. Wir geben dir Werkzeuge an die Hand, um Selbstfürsorge zu betreiben und körperlich und mental gesund zu bleiben. Zudem erfährst du, wo du Hilfe findest und wie du lernst, klare Grenzen zu setzen, damit du stark und gesund für dich und all jene bleibst, die auf deine Unterstützung angewiesen sind.


Lesezeit 15 min


Der Rollentausch – ich bin doch dein Kind

Der Schritt vom Kind zur pflegenden Person für die eigenen Eltern kann emotional sehr belastend sein. Du warst immer das Kind, das im besten Fall auf die Fürsorge und Unterstützung deiner Eltern zählen konnte und plötzlich siehst du dich in der Verantwortung, diese Eltern zu pflegen. Dieser Rollenwechsel kann eine Vielzahl von Gefühlen auslösen:

  • Gefühle von Verlust: Du siehst, wie deine Eltern schwächer werden, und das kann Trauer über den Verlust ihrer Unabhängigkeit und der gewohnten Beziehung zu ihnen auslösen.

  • Schuldgefühle: Du möchtest helfen, aber die Pflege überfordert dich. Dabei entstehen oft Schuldgefühle, nicht genug zu tun oder nicht so da zu sein, wie du es dir wünschst.

  • Überforderung: Plötzlich in die pflegende Rolle zu schlüpfen, kann emotional und körperlich überwältigend sein.

  • Angst vor der Zukunft: Die Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens deiner Eltern kann schmerzhaft sein und Angst auslösen. Aber auch Gedanken an den eigenen Tod kommen hoch und können enorm belastend und destabilisierend sein. 

Wie gehe ich mit meinen Gefühlen am besten um?

  • Akzeptanz der Gefühle 🫂: Erlaube dir, diese schwierigen Emotionen zu spüren. Es ist in Ordnung, Trauer, Wut oder Angst zu empfinden. Der erste Schritt zur Bewältigung ist, sich diese Gefühle einzugestehen.

  • Kommunikation🗣️: Sprich mit anderen über deine Gefühle – Geschwister, Freunde oder professionelle Berater. Über die Belastung zu sprechen kann Erleichterung bringen.

  • Setze Grenzen 🚧: Es ist wichtig, auch weiterhin "Kind" zu sein und sich nicht völlig in der pflegenden Rolle zu verlieren. Setze klare Grenzen für dich selbst. Sag zum Beispiel: „Ich schaffe es nicht mehr, alles allein zu machen. Wir müssen uns Unterstützung suchen.“ Oder „Ich übernehme die Einkäufe, aber für die Arzttermine brauchen wir Hilfe.“

Schulde ich meinen Eltern was?

Zu dieser Frage hat die Philosophin Barbara Bleisch einen interessanten Gedanken geäußert: Sie meint, dass wir unseren Eltern nichts schulden, nur weil sie uns großgezogen haben. Eltern entscheiden sich freiwillig für Kinder und es ist ihre Verantwortung, sich um sie zu kümmern. Wenn du deinen Eltern später helfen möchtest, sollte das aus Liebe und Dankbarkeit geschehen – nicht, weil du dich verpflichtet fühlst. Beziehungen sind viel gesünder, wenn sie auf Freiwilligkeit beruhen.

Das bedeutet für dich: Du musst dich nicht verpflichtet fühlen, deinen Eltern etwas zurückzugeben, nur weil sie dich großgezogen haben. Doch das Gefühl der Schuld loszulassen, ist nicht immer einfach – besonders, wenn Erwartungen im Raum stehen. 

Um dich von diesem Schuldgefühl zu befreien, hilft es, dir bewusst zu machen, dass du selbst entscheiden darfst, wie viel und in welcher Form du deinen Eltern helfen möchtest. Du kannst dich aus Liebe und Dankbarkeit um sie kümmern, aber es ist wichtig, dass du dabei auf deine eigenen Grenzen achtest.

Es ist keine Schwäche, wenn du Unterstützung suchst – sei es durch Geschwister, professionelle Pflege oder Freunde. Indem du dir diese Freiwilligkeit bewusst machst, schaffst du eine gesunde Balance und nimmst den Druck aus der Situation.

Wer kann mir helfen?

  • Professionelle Pflegekräfte 🏥: Sie können dich entlasten und dir Raum für deine eigenen Bedürfnisse schaffen. Ein ambulanter Pflegedienst kann tägliche Aufgaben wie Körperpflege oder Medikamentengabe übernehmen, sodass du Zeit für dich hast.

  • Selbsthilfegruppen 🤝: Dort triffst du auf Menschen in ähnlichen Situationen, die dir Unterstützung und praktische Tipps geben können. Hier kannst du dich mit anderen austauschen, die ebenfalls die Pflege von Angehörigen bewältigen, und von ihren Erfahrungen profitieren. Das kann dein schlechtes Gewissen abmildern, dich entlasten und Kraft geben [1]. Du darfst fühlen: Ich bin nicht allein.

  • Psychologische Beratung 🧠: Therapeuten oder Berater können dir helfen, deine emotionalen Belastungen zu verarbeiten und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Unsere Psycholog:innen stehen dir in der AllyTime App zur Seite und können dich dabei unterstützen, diese herausforderndere Situation zu meistern. Ganz flexibel und in deinem Tempo per Chat.

  • Familie und Freunde 👪: Teile die Pflegeaufgaben, wenn möglich, mit Geschwistern oder vertrauten Menschen. Unterstützung in emotionaler oder praktischer Form kann dir helfen, die Last besser zu tragen. Du könntest mit deinen Geschwistern eine regelmäßige Aufteilung der Pflegezeiten vereinbaren, sodass du nicht allein die Verantwortung trägst. Das kann in Form eines Wochenplanes geschehen oder einer geteilten To-do-Liste, wo jeder einen Verantwortungsbereich hat. Das ermöglicht dir den nötigen Freiraum.

Was tun in der akuten Krise? – Wichtige Anlaufstellen für pflegende Kinder

  • Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums für Angehörige: 030 20 17 91 31, Mo bis Do zwischen 9 und 16 Uhr.

  • Ruf bei der Telefonseelsorge an. Hier wirst du kostenfrei und rund um die Uhr unter den Nummern 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 beraten.

Wie kann ich mich körperlich entlasten?

Pflege geht nicht nur an deine psychischen Ressourcen, sondern fordert auch deinen Körper. Um körperliche Belastungen bei der Pflege zu reduzieren, sind drei Ansätze hilfreich[2]:

Wissen und Fähigkeiten

Viele Angehörige geraten unerwartet in die Rolle des Pflegenden, ohne vorherige Erfahrung. Oft fehlt das Wissen darüber, wie man eine Person sicher aus dem Rollstuhl ins Bett oder Auto hebt. Zu Beginn funktioniert es vielleicht noch intuitiv, aber ohne das Erlernen richtiger Techniken steigt das Risiko für körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen. Erkundige dich bei deiner Kranken- oder Pflegeversicherung nach Kursen und Schulungen, die dir die notwendigen Fähigkeiten vermitteln.

Pflegehilfsmittel

Es gibt zahlreiche Hilfsmittel, die das Heben, Drehen oder Stützen von Pflegebedürftigen erheblich erleichtern können, wie etwa Drehscheiben, Gleitmatten oder Rutschbretter. Auch technische Hilfen wie Lifter oder Rollatoren sowie speziell angefertigtes Besteck können im Alltag unterstützen. 

 

Viele dieser Hilfsmittel kannst du über die Krankenkasse teilweise oder sogar vollständig erstatten lassen. Lass dich von einer örtlichen Pflegeberatungsstelle oder einem Pflegedienst beraten, um die passenden Hilfsmittel auszuwählen und deren Nutzung zu lernen.

 

Kurse und Beratung für körperliche Unterstützung

Neben deinen Geschwistern und deiner Familie können dir Pflegekurse wertvolle Techniken vermitteln, wie du körperliche Anstrengungen reduzieren und Hilfsmittel optimal nutzen kannst.

Praktische Unterstützungsmöglichkeiten

Hier kannst du weitere Unterstützung erhalten:

    • Pflegekurse und Schulungen

    • Professionelle Pflegeberatung

    • Pflegedienste

    • Kurzzeitpflege

    • Tages- und Nachtpflege

    • Verhinderungspflege

Lokale Beratungsstellen können dir auf der Webseite des Zentrums für Qualität in der Pflege weiterhelfen.

Ehrenamtliche Unterstützung

Ehrenamtliche Helfer, wie sie zum Beispiel im Netzwerk pflegeBegleitung zu finden sind, können ebenfalls eine wichtige Entlastung bieten.

Urlaub mit pflegebedürftigen Angehörigen

Für pflegende Angehörige gibt es auch Urlaubsangebote, die speziell auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und ihren Pflegenden zugeschnitten sind. Weitere Infos zu dem Thema findest du beim Verein Urlaub & Pflege e.V.

Selbstfürsorge lernen

Viele Pflegende wissen kaum noch, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen sollen, weil sie sich so stark um andere kümmern. Genau hier kommt die Selbstfürsorge ins Spiel. Es bedeutet, dir selbst die Aufmerksamkeit und Pflege zu schenken, die du brauchst, um gesund zu bleiben – sowohl körperlich als auch mental. Wie soll das gehen? 

Ein wichtiger Aspekt ist die Stärkung deiner Resilienz, also deiner Fähigkeit, mit Stress und Herausforderungen umzugehen. Dazu gehört, dass du dir deiner Ressourcen bewusst wirst. Also: Was tut dir gut? Was lädt deine Akkus wieder auf? Was pushed dein Selbstwertgefühl? Mach Dinge, die dich fröhlich stimmen und dein Herz mit Glück füllen. Es ist okay, Freude zu empfinden. Es ist dein Leben und für dich da und geht weiter, auch wenn deine Eltern pflegebedürftig sind.

Nur wenn du gut auf dich selbst achtest, schaffst du es, langfristig für deine Eltern da zu sein, ohne dich selbst dabei zu verlieren.

Fazit

Die Pflege der Eltern kann emotional und körperlich stark belasten. Selbstfürsorge ist dabei entscheidend, um nicht selbst krank zu werden. Hilfe von außen, psychologische Unterstützung, Pflegehilfsmittel und klare Grenzen setzen sind wichtige Schritte, um die Last zu bewältigen. Denke daran: Du musst nicht alles allein schaffen – es ist okay, Unterstützung anzunehmen und auf dich selbst zu achten. Nur so kannst du langfristig für deine Eltern da sein.


Unsere Psychologinnen stehen dir über unsere App AllyTime auch persönlich zur Seite.


Quellen:

  • [1] https://gesund.bund.de/belastungen-pflegende-angehoerige#psychische-unterstuetzung

  • [2] https://gesund.bund.de/belastungen-pflegende-angehoerige#koerperliche-beschwerden

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