Toxische Beziehungen: erkennen, verstehen und bewältigen

fachlich geprüft von Elena Cathrin Knie (Psychologin)

Menschliche Beziehungen sind manchmal kompliziert und anstrengend. Persönliche Herausforderungen und bestimmte Verhaltensweisen können Beziehungen dabei sehr belasten.

Doch was ist das eigentlich, eine “toxische” Person? “Toxische” Menschen oder Beziehungen an sich gibt es nicht, vielmehr können bestimmte Verhaltensweisen zu ungesunden Beziehungsdynamiken beitragen. In diesem Artikel möchten wir zeigen, was “toxische” Beziehungen kennzeichnet und wie Paare schädliche Dynamiken überwinden können. Eine Verbesserung der Paardynamik ist möglich, wenn beide die Bereitschaft zur Kommunikation und Weiterentwicklung mitbringen.

Paare mit toxischer Beziehung sind von außen oft nicht erkennbar

Lesezeit: 8 Min


Was ist eine “toxische” Beziehung und welche Anzeichen gibt es?

Eine Beziehung wird im Internet oder in sozialen Medien als “toxisch” bezeichnet, wenn einer oder beide Partner und Partnerinnen ein Verhalten zeigen, das emotionalen und manchmal auch physischen Schaden zufügen kann. Diese Bezeichnung ist nicht gut gewählt, denn sie suggeriert, dass eine Person “giftig” für eine Beziehung ist. Stattdessen ist es eher die Dynamik zwischen den beiden Personen oder bestimmte Verhaltensweisen, die eine Beziehung zu einer dysfunktionalen Beziehung machen. Ob man sich in einer dysfunktionalen Beziehung befindet, lässt sich unter anderem an folgenden Anzeichen erkennen:

 
  1. Kontrollverhalten: Eine Person versucht, die andere zu kontrollieren, sei es durch Eifersucht, versuchte Bevormundung oder ähnliches.

  2. Abwertung und Beleidigungen: Oft zeigt sich eine ungesunde Beziehungsdynamik auch an Abwertungen oder Beleidigungen: Schimpfwörter oder herablassende Bemerkungen über Verhalten oder Person häufen sich. Wenn diese über längere Zeit stattfinden, kann das dazu führen, dass der Selbstwert einer Person darunter leidet.

  3. Manipulation: Manipulative Taktiken, wie Schuldzuweisungen, Lügen und emotionale Erpressung, sind in dysfunktionalen Beziehungen häufig anzutreffen.

  4. Körperliche Gewalt: Manchmal kommt es nicht nur auf emotionaler Ebene zu ungesunden Dynamiken sondern auch auf der physischen (z. B. mit Sachen werfen, festhalten u.ä.).

 

Wann verhält sich jemand toxisch in einer Beziehung?

Eine Person verhält sich “toxisch” in einer Beziehung, wenn sie kontinuierlich eines der oben genannten Verhaltensmuster zeigt, und das Verhalten die emotionale oder physische Gesundheit der anderen Person gefährdet. Dieses Verhalten kann sporadisch auftreten oder sich über die Zeit verstärken.

Um dies näher zu beleuchten, betrachten wir eine hypothetische Situation:


Anna und Tom: Eine “toxische” Beziehung

Anna, eine erfolgreiche Berufstätige, und Tom, ein engagierter Vater, finden sich in einer schädlichen Beziehungsdynamik wieder. Anna, aufgewachsen in einem Umfeld, in dem Liebe durch Leistung definiert wurde, entwickelte eine tiefe Unsicherheit in Bezug auf ihre Selbstwertgefühle. Tom hingegen wurde von seinen Eltern oft kritisiert und fühlte sich ständig unter Druck, hohe Erwartungen zu erfüllen.

Diese Mischung führt bei ihnen zu einem Teufelskreis von Missverständnissen und ungelösten Konflikten. Anna suchte ständig nach Bestätigung, während Tom sich in seiner Rolle als Ernährer und Beschützer verunsichert fühlt. Anna hat gerade eine ganze Nacht an der gemeinsamen Steuererklärung gesessen und einige Hundert Euro an Erstattung rausgeholt. Tom aber sieht darin keinen Grund zu feiern, sondern fühlt sich als Hauptverdiener in seiner Rolle herabgesetzt.

Die Atmosphäre ist schon lange voller Anspannung und Frustration. Und dieses Mal bricht sich alles Bahn und es kommt eine Beleidigung nach der anderen. Anna wirft mit ihrem Glas und Tom droht ihr mit dem Einstellen von Zahlungen auf ihr Konto.


Kommunikation und Klarheit: Schlüssel zur Überwindung einer toxischen Beziehung

Der erste und entscheidende Schritt zur Überwindung ungesunder Dynamiken in Beziehungen liegt in der Kommunikation. Manchmal sind es Ängste, die dazu beitragen - beispielsweise Verlustangst oder Angst vor Ablehnung. Wichtig ist eine Bereitschaft beider Personen, daran zu arbeiten. Offene, ehrliche Gespräche schaffen Raum für Verständnis und Klarheit über die individuellen Bedürfnisse.

Die Rolle von Ängsten als Bewahrer einer dysfunktionalen Beziehung

Die Angst vor Verlust oder Ablehnung kann als Hindernisse vor dem direkten Ansprechen von Beziehungsschwierigkeiten eine Rolle spielen. Die Angst vor Verlust oder Ablehnung kann dazu führen, dass sich Menschen in Beziehungen zurückziehen und wichtige Themen meiden. Durch eine offene Kommunikation und ehrlichen Austausch können Ängste weniger werden. Manchmal hilft es auch erst einmal über die eigenen Ängste und Sorgen zu sprechen und danach die Beziehungsschwierigkeiten anzusprechen.

Tipps bei dysfunktionalen Beziehungen

Die Auflösung schädlicher Beziehungsdynamiken kann mit aktiven Schritten und einem gemeinsamen Willen zur Veränderung gelingen. Das direkte Ansprechen von Problemen, gepaart mit Ehrlichkeit, Offenheit und Respekt, ist ein Startpunkt. Es hilft, die eigene Perspektive zu teilen, ohne den anderen zu beschuldigen. Aktives Zuhören und Verständnis für die Bedürfnisse des Partners sind dabei essentiell. Gemeinsam können Paare starke Schritte zur Verbesserung ihrer Beziehung entwickeln.

Zu bedenken bleibt, dass auch ein solches Arbeiten an der Beziehung nicht immer zu einer Beziehungen führt, wie man sich diese als Partner oder Partnerin vorstellt.


Anna und Tom: Was könnten die beiden verändern?

Was könnte die Beziehung zwischen Anna und Tom positiv beeinflussen? Welche konkreten Schritte können sie gemeinsam unternehmen? Hier sind einige Empfehlungen:

  • Anna und Tom können sich einen Raum schaffen, in dem sie ohne Vorwürfe und Urteile miteinander sprechen können. Offene und ehrliche Kommunikation kann dazu beitragen, dass beide ihre Bedürfnisse und Ängste miteinander teilen können.

    Wichtig sind Formulierungen, durch die der andere sich nicht beschuldigt fühlt. Ein aktives Zuhören ohne sofortige Wertung hilft einen Raum zu schaffen, in dem die eigenen Bedürfnisse und Ängste geteilt werden.

    Beliebte Räume für solche Gespräche sind neutrale Orte, die gleichzeitig Weite und Privatheit sicherstellen können. Beide können sich frei und unbeobachtet fühlen. Für Anna und Tom könnte z. B. ein Spaziergang ohne Termindruck im Park das Passende sein.

  • Da Ängste eine zentrale Rolle in ihrer Beziehung spielen, ist es wichtig, sich vorher über die eigenen Ängste im Klaren zu sein. Durch Verständnis und Empathie sich selbst gegenüber können sie die Ängste genauer beschreiben und Ideen entwickeln, um diesen zu begegnen. Dies erfordert Zeit, Geduld und die Bereitschaft, an sich zu arbeiten. Anna und Tom könnten sich vor ihrem Spaziergang im Park zum Beispiel jeweils für sich die Frage stellen, warum sie die unbefriedigende Beziehungssituation nicht schon früher angesprochen haben.

  • In der Kommunikation kann sie auf konstruktives Feedback setzen, um Missverständnisse zu vermeiden. Anna und Tom kann klare Grenzen setzen, die den Bedürfnissen und Werten beider gerecht werden. Dies schafft eine Grundlage für Vertrauen und Sicherheit in der Beziehung. Worauf legen sie besonderen Wert im Gespräch miteinander? (z. B. sich ausreden lassen, gleiche Redeanteile)

  • Die Identifikation gemeinsamer Interessen und Aktivitäten kann die Verbindung zwischen Anna und Tom stärken. Sie können bewusst Zeit für positive Erlebnisse einplanen, um ihre Beziehung zu nähren und neue, positive Erfahrungen zu teilen. Wann waren sie zum letzten Mal unterwegs und haben etwas unternommen, was beiden Freude bereitet?

  • Wenn die schädlichen Dynamiken tief verwurzelt sind, kann professionelle Hilfe in Form von Paarberatung oder Therapie eine wertvolle Unterstützung bieten. Ein neutraler Dritter kann helfen, tiefer liegende Probleme zu identifizieren und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

 

Kommunikationstipps für Paare

  1. Konstruktives Feedback: Konstruktives Feedback anstatt Kritik. Bedenken auf eine positive Art und Weise formulieren, um eine offene Kommunikation zu fördern. Beispielsweise Ich-Botschaften helfen (“Ich fühle mich manchmal von dir nicht gesehen”) gemeinsam mit der Formulierung eines Wunsches (“Ich würde mir wünschen, dass mein Nähebedürfnis gesehen wird und wir z. B. einmal die Woche spazieren gehen.”).

  2. Grenzen setzen: Grenzen klären und die Bedürfnisse des anderen respektieren. Klare Grenzen fördern Vertrauen und Sicherheit in der Beziehung.

  3. Gemeinsame Interessen: Gemeinsame Interessen und Aktivitäten stärken die Verbindung und schaffen neue positive, gemeinsame Erfahrungen.

  4. Professionelle Hilfe: Psychologische Beratung ist eine gute Möglichkeit, um eine ungewünschte Beziehungsdynamik begleitet aufzulösen.

 

Die Bedeutung von psychologischer Beratung

Psychologisches Beratung kann eine wertvolle Unterstützung sein, um die eigenen Bedürfnisse besser zu verstehen und schädliche Situationen in einer Beziehung zu bewältigen. Eine erfahrene Mentorin, wie bei AllyWell, kann dabei helfen, persönliche Muster zu erkennen und konstruktive Wege zur Veränderung zu finden. AllyWell bietet einen sicheren Raum für Reflexion und Wachstum, sowohl individuell als auch als Paar.

In der komplexen Welt der Beziehungen ist es hilfreich, die Dynamiken der Beziehung zu verstehen und aktiv an einer gesunden Kommunikation zu arbeiten. Die Arbeit an ungesunden Beziehungsdynamiken erfordert Zeit, Selbstreflexion und die Bereitschaft beider Partner:innen zur Veränderung. Letztendlich kann dies zu einer tieferen, befriedigenderen Beziehung führen, die das Fundament für eine positive und unterstützende Familienumgebung bildet.


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