Schreiben bei Schulangst: Expressives Schreiben
Um sich seiner Gefühle bewusster zu werden, kann ein Gefühlstagebuch sehr hilfreich sein. Statt über allgemeine Gefühle zu schreiben, kann man sich auch bewusst nur mit unangenehmen Gefühlen wie Schulangst auseinandersetzen.
Expressives Schreiben gehört zu den am besten untersuchten therapeutischen Schreibinterventionen. In den Analysen der Studien konnten viele positive Effekte auf die psychische und physische Gesundheit festgestellt werden. Wir meinen: Es lohnt sich, es auszuprobieren!
Inhalt:
Was bringt es uns, über unsere Ängste und Sorgen zu schreiben?
Ängste erkennen: Bringe Licht in den Nebel
Ängste und Sorgen oder andere unangenehme Gefühle sind oft nebulös und diffus. Sie sind schwer zu fassen und meist werden sie noch größer oder stärker, wenn man ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt. Gerade deshalb kann das Schreiben hilfreich sein: Wir fangen unseren diffusen Gefühlsnebel ein und formulieren ihn um in etwas Konkretes, etwas Greifbares.
Aufgestauten Gefühlen einen Raum geben
Gerade für unangenehme Gefühle ist im Schulalltag oft nicht viel Platz. Wut, Trauer, Angst sind gesellschaftlich längst nicht so akzeptiert wie z.B. Freude. Das führt oft dazu, dass wir diese unangenehmen Gefühle mit uns herumschleppen, zu grübeln beginnen und in Grübelschleifen geraten. Daraus können dann auch körperliche Symptome (wie die bei Schulangst) entstehen. Positive Gefühle und schöne Erlebnisse erzählen wir anderen viel leichter und lieber. Ängste, Sorgen und Unangenehmes verbergen wir gerne vor uns selbst und vor anderen. Vielleicht fällt dir auch auf, dass du nicht so gerne und oft mit anderen über deine Ängste sprichst?
Wie kannst du über deine Schulangst schreiben?
Setze dich an einen ruhigen Ort, an dem du dich wohl fühlst. Nimm dir etwa 15 bis 30 Minuten Zeit, um deinen tiefsten Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Denke an eine konkrete Situation, in der du unangenehme Gefühle erlebt hast. Vielleicht ist die Situation schon lange vorbei, aber die Gefühle lassen dich nicht los. Beschreibe diese Situation so genau wie möglich, alles, woran du dich erinnerst, kannst du aufschreiben. Grammatik, Rechtschreibung und Stil sind nicht so wichtig. Konzentriere dich jetzt vor allem auf die Gefühle, die du in dieser Situation erlebt hast. Auch darauf, wo du sie in deinem Körper erlebt hast: Waren sie eher im Bauch? Im Kopf? Waren sie im ganzen Körper? Als Druck? Als Schmerz? Kribbeln?
Es kann sein, dass du beim Schreiben wieder unangenehme Gefühle erlebst - das ist völlig in Ordnung und ganz normal. Wenn dich ein Thema zu sehr aufwühlt, kannst du natürlich auch einfach mit dem Schreiben aufhören oder erst einmal ein anderes Thema in Angriff nehmen.
Fragen, die du dir selbst bei Schulangst stellen könntest:
Welche konkrete Situation hat mir heute/ in den letzten Tagen Angst gemacht?
In welcher Situation habe ich heute/ in den letzten Tagen Angst erlebt?
Wann und wie hat sich meine Schulangst heute/an den letzten Tagen bemerkbar gemacht?
Welche Gefühle habe ich vor, während und nach der Situation gespürt?
Wo in meinem Körper habe ich sie gespürt?
Wie genau ist mein Körper mit diesen Gefühlen umgegangen? (z.B. meine Hände wurden ganz heiß, schwitzig und kribbelten, mein Kiefer war verkrampft, ich habe fest auf meine Zähne gebissen)
Worauf solltest du beim expressivem Schreiben achten?
Expressives Schreiben ist als Intervention gedacht, d.h. man kann es so oft wie nötig anwenden, es sollte aber nicht zur Schreibgewohnheit werden. Über unangenehme Gefühle und ganz konkrete Situationen zu schreiben, in denen wir Ängste und Sorgen haben, kann auch anstrengend sein. Würden wir das jeden Tag tun, würden wir uns irgendwann zu sehr auf den „emotionalen Ballast“ konzentrieren. Expressives Schreiben soll der Psychohygiene dienen und kann auch sehr intensiv sein. Lass dir deshalb zwischen den Themen, die dich beschäftigen, Zeit, um dir eine emotionale Pause zu gönnen. Diese Pausen dienen der Regeneration, dem „Durchatmen“. Außerdem kannst du dann sehen, welche positiven Veränderungen diese Intervention auf dein Leben und deinen Alltag hat. Du kannst dann auch die Regelmäßigkeit des Schreibens anpassen oder dir z.B. andere Unterstützung suchen, wenn du sie brauchst.
Dankbarkeit nach der Übung
Vielleicht hast du Lust, dich nach der Schreibübung bei dir selbst zu bedanken? Schließlich braucht es Mut, sich dem eigenen Kopfkino zu stellen! Das muss natürlich nicht sein, aber wenn du es ausprobieren möchtest, könnte es zum Beispiel so aussehen:
Ein Beispiel für einen Tagebucheintrag
Sina ist sauer auf ihren Freund Jonathan. Normalerweise gehen sie zusammen zum Volleyball. Gestern hat sie ewig auf ihn gewartet, ihn angerufen, ist extra zu seiner Familie gelaufen. Als sie schließlich viel zu spät zum Volleyballtraining kam und die Trainerin sie mit einem vorwurfsvollen Blick begrüßte, stand Jonathan schon längst auf dem Feld. Jonathan war vorher mit einem Freund zu Hause und ist von dort direkt zum Training gegangen. Er entschuldigte sich zwar bei Sina, meinte aber: „Sie muss sich nicht so aufführen und hätte einfach früher loslaufen können, ohne sich so viel Mühe zu machen“. Man kann sich vorstellen, wie Sina sich jetzt fühlt.
Sina setzt sich abends an ihren Schreibtisch, nimmt ein Blatt Papier und fängt an:
„Gestern Abend habe ich wie immer um 17.30 Uhr an der Kreuzung auf Jona gewartet. Normalerweise ist er pünktlich. Aber gestern war er um 17:50 Uhr immer noch nicht da. Ich habe ihn 7 Mal auf seinem Handy angerufen !!!!! Und dann noch bestimmt 15 Whatsapp geschickt. Und es kam einfach nichts!!! In dem Moment habe ich mich richtig unter Druck gesetzt gefühlt - weil ich genau weiß, dass unsere Trainerin es gar nicht mag, wenn wir zu spät kommen. Ich konnte den Druck und den Stress in meiner Brust richtig spüren. Es hat so richtig gedrückt und mein Herz hat geklopft. Dann bin ich extra zu Jonas nach Hause gelaufen, wo mir seine Mama erzählt hat, dass er heute direkt von Felix ins Training geht !!!!!. Ich bin vor Wut zum Training gerannt. Ich muss sagen, es waren so viele Gefühle auf einmal, die ich gefühlt habe: Wut, Enttäuschung... und ja auch Sorge am Anfang!!! Ich wusste gar nicht, warum er sich nicht gemeldet hat, das war echt komisch. Ich hatte echt auch ein bisschen Angst um ihn - er hatte ja erst letztes Jahr einen echt blöden Fahrradunfall - weil er eben oft so rücksichtslos rumfährt!!! Die Sorge und die Angst waren echt in meinem Kopf und ich habe mir schon ein paar Szenarien ausgemalt, was hätte passieren können!!! Es war wirklich viel in meinem Kopf und es war wirklich unangenehm in meinem Körper diese Sorge zu spüren. Ich kann mich auch noch erinnern, dass ich gestern die ganze Zeit meinen Kiefer ganz fest zusammengebissen habe - weil ich diese Anspannung irgendwie voll gespürt habe - ich habe auch meine Fäuste geballt - ich war so richtig verkrampft und gleichzeitig erschöpft, als ich ins Training gekommen bin. Als Jona sich dann nur halbherzig bei mir entschuldigt hat, war ich wirklich enttäuscht von ihm. Schließlich bin ich ganze 40 Minuten zu spät gekommen und hab mir echt Sorgen gemacht... Und die Trainerin hat auch gesagt, dass das nicht mehr vorkommen darf... Und das ganze Training danach war natürlich ziemlich umsonst! Wir sind wirklich schon so viele Jahre beste Freunde - da hätte ich mehr erwartet. Die Enttäuschung habe ich gestern das ganze Training über gespürt und ich war danach echt traurig... zu Hause habe ich erst mal ein bisschen geweint vor Wut und Enttäuschung, dass ihm unsere Freundschaft irgendwie nicht so wichtig ist...! Ich bin echt immer noch so traurig, allein wenn ich jetzt darüber schreibe, kommen mir die Tränen... Und ich fühle es so richtig doll in der Brust, so ein Druck und irgendwie fühle ich mich heute so müde und fertig, weil ich letzte Nacht ewig nicht eingeschlafen bin. Und da hab ich so ein richtiges Gedankenkreisen gehabt, das hat mich so richtig aufgewühlt: Er hat dann nur noch mal eine Whatsapp geschrieben: „Jetzt komm schon, so schlimm war das doch nicht, oder?“ .......
Oh Mann, mein Herz klopft jetzt. Ich merke gerade, dass mich das alles noch sehr mitnimmt. Irgendwie war es gerade anstrengend, aber es hat mir mega gut getan. Ich finde es gut, dass ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Für heute reicht es mir, ich schreibe am Donnerstag weiter. Tschüss liebes Buch, bis Donnerstag.
Sina ist sehr stolz auf sich, dass sie es geschafft hat. Um sich bei sich selbst zu bedanken, möchte sie noch ein kleines Dankbarkeitsritual durchführen.
Sie legt ihre Hände auf ihr Herz und spricht laut zu sich selbst: “Liebe Sina, danke, dass ich mir heute Zeit für mich genommen habe. Danke, dass ich den Mut hatte, meinen unangenehmen Gefühlen Raum zu geben. Danke, dass ich den Mut hatte, über meine Ängste und Sorgen zu schreiben und sie in diesem Buch hier festzuhalten.”
Als psychologische Mentorinnen stehen wir dir über unsere App AllyTime auch persönlich zur Seite.