AD(H)S - Was ist das eigentlich?
Bestimmt hast du schon einmal von AD(H)S gehört. In der letzten Zeit hat dieses Thema viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Wir geben dir mit diesem Artikel einen Überblick, was AD(H)S ist. Ob die Diagnose im Raum steht, du einen Verdacht hast oder du dich für das Thema interessiert - hier erfährst du alles, was du wissen musst!
Lesezeit: 10 Min
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Definition
AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine Störung der neurologischen Entwicklung, die beeinflusst, wie wir denken und handeln. Menschen mit AD(H)S können Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, sind oft sehr aktiv und handeln manchmal impulsiv. 1
Die drei Hauptmerkmale sind
2:
- Unaufmerksamkeit,
- Impulsivität (= Eine Person, die impulsiv ist, macht oft Dinge schnell und spontan, ohne die möglichen Folgen zu bedenken) 3,4
- Hyperaktivität (= jemand sehr aktiv und oft unruhig, z.B.: Schwierigkeiten, still zu sitzen oder ruhig zu bleiben). 5
Die Symptome können von Person zu Person ziemlich unterschiedlich ausgeprägt sein:
Damit du dir das ganze einmal etwas besser vorstellen kannst, haben wir hier noch ein paar Zahlen für dich:
- 3 von 100 Erwachsenen in Deutschland haben AD(H)S.
- 5 von 100 Kindern und Jugendlichen haben AD(H)S.
Damit ist AD(H)S die am häufigsten diagnostizierte neurologische Entwicklungsstörung.
Fachleute und die Gesellschaft diskutieren darüber, ob AD(H)S häufiger oder seltener wird. Krankenkassen berichten seit Jahren über steigende AD(H)S-Diagnosen, während einige Studien zeigen, dass die Häufigkeit gleich bleibt oder sogar sinkt.6
Was passiert da eigentlich im Körper?
Bei AD(H)S gibt es Unterschiede in der Entwicklung des Gehirns. Man geht aktuell von einem Ungleichgewicht von Botenstoffe im Gehirn aus, vor allem Dopamin7,8 (= oft als „Glückshormon“ bezeichnet; zuständig für Bewegung und Belohnung auslöst) und Noradrenalin9 (= oft als „Stresshormon“ bezeichnet ; zuständig für Wachsamkeit und Aufmerksamkeit). Beide Botenstoffe sind bei Menschen mit AD(H)S in bestimmten Bereichen im Gehirn nicht so stark vorhanden.10,11 Die Folge ist eine veränderte Übertragung von Signalen im Gehirn und dadurch ein Unterschied bei z.B.: Aufmerksamkeit und Motivation.12
Bei Menschen mit ADHS gibt es also neuronale Unterschiede zu Menschen ohne ADHS.
…ist AD(H)S also eine Störung?
Aktuell gilt AD(H)S als Störung der neuronalen Entwicklung.
Doch es wird viel diskutiert, ob es tatsächlich als Störung definiert sein sollte. Primär bedeutet Störung einfach erst einmal, dass es eine Abweichung in der Funktion oder dem Erleben oder Verhalten gibt. Leider ist der Begriff “Störung” in der Gesellschaft oftmals mit Vorurteilen belastet.
So ist in den letzten Jahren ein neues Konzept populär geworden: Neurodiversität. Dabei wird die Vielfalt der neurologischen Entwicklung betont. Es sieht neurobiologische Unterschiede, wie z. B. AD(H)S, nicht als Störung oder Krankheit, sondern als Ausprägung dieser neurologischen Vielfalt - als normale menschliche Unterschiede. Wir sind also alle neurodivers. Personen mit AD(H)S sind demnach eine Neuro-Minderheit13 oder neurodivergent. Menschen, die keine Symptome haben, also der psychologischen und medizinischen Norm entsprechen, sind neurotypisch14,15. So ähnlich wie es Rechts- und Linkshänder gibt, gibt es auch neurotypische und neurodivergente Menschen.
Ursachen
Es gibt nicht nur eine Ursache von ADHS, sondern viele verschiedene. Wir haben dir die wichtigsten aktuell bekannten Ursachen aufgelistet:
Genetische Faktoren
ADHS weist eine starke erbliche Komponente auf. Das Risiko, ADHS zu entwickeln, ist bei Verwandten ersten Grades (wie Geschwister oder Kinder) etwa neunmal höher. Verantwortlich dafür sind bestimmte Gene. Insbesondere solche, die einen Einfluss auf unsere Botenstoffe im Gehirn haben. Beispiele hierfür sind die Gene DRD4 (Dopaminrezeptor) und DAT1 (Dopamintransporter).16,17
Neurologische Faktoren
Personen mit ADHS haben Veränderungen im Gehirn. Zum einen sind bestimmte Hirnstrukturen, wie der Frontallappen, die Basalganglien und das Kleinhirn verändert. Diese Hirnbereiche sind zuständig für die Gefühlssteuerung, Motivation und Bewegung. Zum anderen unterscheidet sich die Hirnfunktion. Personen mit ADHS haben andere Aktivierungsmuster in Gehirnregionen, die an der Selbstregulation und der Aufmerksamkeitssteuerung beteiligt sind.18,19
Umweltfaktoren
Vorgeburtliche Einflüsse: Konsum von Nikotin, Alkohol und anderen Drogen während der Schwangerschaft sind für das Kind mit einem erhöhten Risiko für ADHS verbunden. Auch Stress während der Schwangerschaft und Herausforderungen bei der Geburt spielen eine Rolle.20,21
Frühkindliche Umweltfaktoren: Umweltgifte wie Blei, sowie ein Mangel an bestimmten Nährstoffen wie Eisen und Omega-3-Fettsäuren, können ebenfalls das Risiko erhöhen.22,23
Psychosoziale Faktoren: Dauerhafter Stress, instabile Familienverhältnisse und traumatische Erlebnisse in der Kindheit können zur Entwicklung und Verschlimmerung von ADHS-Symptomen beitragen.24,25
Diagnose
Vielleicht hast du bei dir selbst oder deinem Kind den Verdacht, dass AD(H)S vorliegt? Dafür ist es wichtig, dass du dich bei Fachpersonen, die sich auf AD(H)S spezialisiert haben, vorstellst und so eine umfangreiche Diagnostik durchgeführt werden kann. Vielleicht kannst du auch erst einmal Hausarzt, Hausärztin ansprechen. Bei der Diagnostik sollten eine umfangreiche Anamnese (= bisherige Leidensgeschichte), spezifische AD(H)S Diagnostik, Körperliche Untersuchungen, Gespräche mit Bezugspersonen und spezielle Tests (z.B. zur Aufmerksamkeit) durchgeführt werden. Ein schneller Test, den du irgendwo auf Google gefunden hast, ist dafür nicht ausreichend.
Behandlung
Das Leben mit AD(H)S kann eine Achterbahnfahrt sein. Doch mit der richtigen Unterstützung könnt ihr gemeinsam lernen, die Herausforderungen zu meistern und so zu einem harmonischen Familienleben beitragen.
Psychotherapeutische Hilfe: Strategien für den Alltag
Psychotherapien wie z.B.: die kognitive Verhaltenstherapie hilft Kindern und Erwachsenen, ihre Gedanken und Verhaltensweisen positiv zu verändern. Auch das Erlernen eines strukturierten Tagesablaufes und regelmäßige Familientreffen, bei denen jeder seine Gefühle äußern kann, schaffen ein stabiles Umfeld.
Pädagogische und emotionale Unterstützung: Gemeinsam stark
Individuelle Bildungspläne in der Schule und Elterntrainings sind sinnvoll. Familiencoaches können als neutrale Vermittler helfen, Spannungen abzubauen und die Kommunikation zu verbessern.
Gesunde Gewohnheiten: Ein Fundament der Stabilität
Regelmäßige körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung mit wenig Zucker fördern das Wohlbefinden. Ein strukturierter Schlafrhythmus ist ebenfalls wichtig, um die Symptome zu lindern.
Selbstfürsorge: Zeit für sich & Zeit mit der Familie
Eltern sollten sich regelmäßige Auszeiten gönnen, um ihre Batterien aufzuladen. Wenn du mehr darüber herausfinden möchtest was dir Kraft spendet, dann schau doch gerne hier vorbei: https://allywell.de/blog/was-sind-eigentlich-ressourcen
Kleine Rituale, wie tägliche Check-ins mit dem Kind, fördern ein tiefes emotionales Verständnis und stärken die Familienbindung. Möchtest du ein bisschen Inspiration für Familienrituale? Hier in diesem Artikel findest du mehr dazu: https://allywell.de/blog/entspannungsrituale-familien?rq=rituale
Medikamentöse Unterstützung
Medikamente wie Methylphenidat (z. B. Ritalin) und Amphetamin-Derivate (z. B. Adderall) können unterstützen, indem sie die Konzentration und Impulskontrolle verbessern. Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin bieten Alternativen, wenn Stimulanzien nicht vertragen werden.
Stärken
Kinder mit AD(H)S haben auch ganz besondere und einzigartige Stärken.26 Wir haben euch diese einmal in eine übersichtliche Grafik am Ende des Artikels gepackt. Eine besonders spannende Stärke, die viele Menschen mit AD(H)S beschreiben, ist der Hyperfokus bei ADHS. Den kann man sich wie so einen starken Flow-Zustand vorstellen, eine extrem gute Konzentration. Der ist aber nicht immer da, sondern hängt von einem ganz wichtigen Faktor ab: und zwar von der Motivation.27,28 Nur, wenn man gerade sehr viel Lust auf eine Sache hat, dann kann sich der Hyperfokus einschalten.29,30,31 Ganz genau ist der Hyperfokus wissenschaftlich aber noch nicht erklärt.
Fazit und ressourcenorientierter Blick
Abschließend möchten wir noch einmal betonen: Ja, AD(H)S in Familien kann Herausforderungen und Anstrengungen mit sich bringen. Und gleichzeitig kann niemand etwas “dafür” oder ist gar “schuld” oder macht etwas “absichtlich”. Gemeinsam kann man als Familie auch enger zusammenrücken, vielleicht sogar daran wachsen? Vor allem dein Kind wird dankbar sein, wenn ihr nicht nur die Herausforderungen im Blick habt, sondern auch die Ressourcen, die dein Kind ganz individuell mitbringt. Schaut euch doch zum Abschluss noch einmal gemeinsam dieses Schaubild an - wir denken, dass ihr gemeinsam einige Eigenschaften finden könnt, die dein Kind als Stärken mitbringt.
Ein ressourcenorientierter Blick hilft so manches Mal, Herausforderungen in einem anderen Licht zu betrachten.
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Quellen:
https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/p%C3%A4diatrie/lern-und-entwicklungsst%C3%B6rungen/aufmerksamkeitsst%C3%B6rung-und-hyperaktivit%C3%A4t-add,-adhd
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/kindergesundheit/aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
Fayyad J, De Graaf R, Kessler R, Alonso J, Angermeyer M, Demyttenaere K, De Girolamo G, Haro JM, Karam EG, Lara C, Lépine JP, Ormel J, Posada-Villa J, Zaslavsky AM, Jin R. Cross-national prevalence and correlates of adult attention-deficit hyperactivity disorder. Br J Psychiatry. 2007 May;190:402-9. doi: 10.1192/bjp.bp.106.034389. PMID: 17470954.
Song, P., Zha, M., Yang, Q., Zhang, Y., Li, X., & Rudan, I. (2021). The prevalence of adult attention-deficit hyperactivity disorder: A global systematic review and meta-analysis. Journal of global health, 11.
Polanczyk G, de Lima MS, Horta BL, Biederman J, Rohde LA. The worldwide prevalence of ADHD: a systematic review and metaregression analysis. Am J Psychiatry. 2007 Jun;164(6):942-8. doi: 10.1176/ajp.2007.164.6.942. PMID: 17541055.
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/INTEGRATE_ADHD/INTEGRATE-ADHD_inhalt.html#:~:text=Die%20Aufmerksamkeitsdefizit%2D%2FHyperaktivit%C3%A4tsst%C3%B6rung%20(ADHS,St%C3%B6rungen%20bei%20Kindern%20und%20Jugendlichen.
Tripp, G., & Wickens, J. (2024). Using rodent data to elucidate dopaminergic mechanisms of ADHD: Implications for human personality. Personality Neuroscience, 7, e2.
Kanarik, M., Grimm, O., Mota, N. R., Reif, A., & Harro, J. (2022). ADHD co-morbidities: A review of implication of gene× environment effects with dopamine-related genes. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 104757.
Yuan, D., Zhang, M., Huang, Y., Wang, X., Jiao, J., & Huang, Y. (2021). Noradrenergic genes polymorphisms and response to methylphenidate in children with ADHD: a systematic review and meta-analysis. Medicine, 100(46).
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugendpsychiatrie-psychosomatik-und-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/aufmerksamkeitsdefizit-hyperaktivitaets-stoerung-adhs/ursachen/
https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/das-solltest-du-ueber-adhs-wissen/
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Groen, Y., Priegnitz, U., Fuermaier, A. B. M., Tucha, L., Tucha, O., Aschenbrenner, S., Weisbrod, M., & Garcia Pimenta, M. (2020). Testing the relation between ADHD and hyperfocus experiences. Research in developmental disabilities, 107, 103789. https://doi.org/10.1016/j.ridd.2020.103789
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