Der Richtige wird schon kommen? – Warum dein Bindungstyp entscheidet, wen du anziehend findest

Viele romantische Geschichten, Filme und Lieder erzählen von intensiven Gefühlen, dramatischen Wendungen und der Hoffnung, dass Liebe alles überwindet. Sie vermitteln das Bild, dass wir nur den „richtigen“ Menschen finden müssen – und dann wird alles gut. Doch wenn wir uns anschauen, worauf unsere Partnerwahl und unsere Art, Beziehungen zu gestalten, wirklich beruhen, zeigt sich: Wir suchen uns oft unbewusst Bindungstypen und Dynamiken, die wir schon als Kind erlebt haben. Diese Muster prägen, wie wir Nähe erleben, wie viel Distanz wir brauchen – und ob wir Beziehungen sicher oder unsicher empfinden und gestalten können.

In diesem Artikel erfährst du:

  • welche Bindungstypen es gibt und wie sie entstehen,

  • wie sie sich in Beziehungen und schon beim Dating zeigen,

  • warum wir uns oft zu bestimmten Partnern hingezogen fühlen,

  • und was du tun kannst, um Bindungsmuster zu erkennen und zu verändern.


Lesezeit 20 min


Was sind Bindungstypen – und wie entstehen sie?

Unsere frühesten Erfahrungen mit Nähe, Trost, Schutz und Verlässlichkeit prägen, wie wir später Beziehungen erleben. Waren unsere Eltern da, wenn wir geweint haben oder Angst hatten? Wurden unsere Gefühle ernst genommen und beantwortet oder als „zu viel“ empfunden? Unsere Bindungserfahrungen in der Kindheit formen unsere innere Beziehungslandkarte, die wir als Erwachsene haben. Die Bindungsforschung unterscheidet vier grundlegende Bindungstypen:

Diese Bindungstypen sind Anpassungsleistungen und waren einmal notwendig. Als Kinder waren wir so in der Lage, uns auf unsere damaligen Bezugspersonen und unsere damalige Umgebung einzustellen und groß zu werden.

Auch im Erwachsenenalter wirken diese Bindungstypen oft weiter, sogar dann, wenn wir eigentlich ganz andere Beziehungen führen möchten. Denn wir neigen dazu, das zu wiederholen, was wir als Kind gelernt haben, selbst wenn uns das heute nicht mehr gut tut. Schauen wir uns ein paar häufige Konstellationen von Bindungstypen an.

Die romantisierte Hoffnung: „Ich kann ihn/sie ändern“

Viele Menschen mit einem besorgten Bindungstyp sehnen sich nach Nähe und verlieben sich doch häufig in emotional unzugängliche Partner. Dahinter steht oft die Hoffnung: Wenn ich nur genug liebe, verändert sich der andere. Wenn ich besonders bin, erkennt der andere endlich, wie wertvoll unsere Beziehung ist. Diese Hoffnung ist tief, aber auch schmerzhaft.

Typisch ist: Man kämpft um Nähe, gibt viel, passt sich an und versucht ständig, die Stimmung beim Gegenüber zu erspüren und für Harmonie zu sorgen, bevor der andere überhaupt darum bittet. Und trotzdem erlebt man sich immer wieder als „nicht genug“. Der Partner reagiert oft distanziert oder überfordert, manchmal sogar gleichgültig. Und trotzdem bleibt man. Denn hinter all dem steht oft ein inneres Konzept: „Ich muss Liebe verdienen.“

Besonders häufig begegnen sich in diesen Konstellationen Menschen mit besorgtem und abweisend-autonomem Bindungstyp. Der eine klammert, der andere zieht sich zurück – bis hin zum Ghosting. Zwei einsame Menschen, beide mit tiefen Wünschen nach Verbindung, aber mit entgegengesetzten Bewältigungsstrategien, die meist schon in der Kindheit entstanden sind.

Das Hin und Her: „Ich kann nicht mit dir – aber auch nicht ohne dich“

On-Off-Beziehungen, ständiger Wechsel zwischen Nähe und Rückzug, intensive Emotionen, Dramen, Versöhnungen: Dieses Muster entsteht oft, wenn Menschen mit ambivalenten und/oder desorganisierten Bindungstypen aufeinandertreffen.

Desorganisierte Bindungstypen erleben starke Ambivalenz. Nähe wird ersehnt, aber kaum ertragen. Ein „Ja“ fühlt sich bedrohlich an, ein „Nein“ wie tiefer Schmerz. Es kommt zu extremen Schwankungen: von intensiver Abhängigkeit bis zu Flucht und emotionalem Rückzug. Beziehungen wirken chaotisch, instabil, dramatisch.

Unter Stress zeigen sich bei vielen desorganisiert Gebundenen sogenannte Dissoziationen. Das bedeutet, dass Gefühle oder Wahrnehmungen abgespaltet werden, um sich zu schützen. Das kann sich als Leere, Erstarrung oder „wie neben sich stehen“ anfühlen. Auch starke Gefühlsausbrüche oder Kontrollverlust treten auf. Es ist gut, damit nicht allein zu blieben. Eine Therapie hilft hier, weil sie Sicherheit, Stabilisierung und neue Beziehungserfahrungen ermöglicht. Man lernt, alte Verletzungen behutsam zu bearbeiten, sich selbst besser zu regulieren und mit der Zeit neue Muster zu entwickeln.

Der unabhängige Typ: „Ich brauche niemanden“

Menschen mit vermeidendem Bindungstyp wirken oft unabhängig, souverän, klar. Sie brauchen keinen ständigen Kontakt, treffen Entscheidungen allein und legen viel Wert auf Autonomie. Doch häufig liegt dahinter die Erfahrung: Auf Nähe kann ich mich nicht verlassen, sie bedeutet Stress, Einengung oder Enttäuschung. Solange niemand emotionale Nähe einfordert, wirken sie zufrieden. Aber sobald der andere mehr will, ziehen sie sich zurück. Ihre Strategie: Kontrolle durch Distanz. Das Bedürfnis nach Verbindung ist nicht weg, es ist nur tief verdrängt.

Typisch für viele vermeidend gebundene Menschen ist, dass sie sich emotional taub, innerlich unerfüllt oder abgeschnitten fühlen, ohne genau zu wissen, warum. Dieses Gefühl einer inneren Leere ist meist schwer greifbar. Es zeigt sich in Momenten von Ruhe oder nach dem Rückzug aus Nähe in Form von plötzlich aufkommende Unruhe, als Antriebslosigkeit, als Gefühl, dass „etwas fehlt“, ohne es benennen zu können.

Wenn Lieben heisst, gebraucht zu werden

Einige Menschen fühlen sich in einer Beziehung vor allem dann sicher und verbunden, wenn sie von ihrem Partner gebraucht werden und für ihn sorgen können. Sie geben Halt, sie stützen, sie helfen und sorgen für Stabilität. Nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft. Beziehung heißt: Ich bin für dich da, ich kümmere mich, ich rette dich.

Häufig steckt dahinter eine frühe Erfahrung von Überforderung: Das Kind übernimmt emotionale oder praktische Aufgaben, die eigentlich den Erwachsenen zustehen. Es sorgt für das emotionale Gleichgewicht der Eltern, kümmert sich um Geschwister oder stellt eigene Bedürfnisse dauerhaft zurück. So entsteht das Gefühl: Ich bin nur dann wertvoll, wenn ich funktioniere. In der Psychologie spricht man hier von Parentifizierung. Diese Menschen haben oft gelernt, sich über Funktion und Fürsorge zu definieren. Ihre Beziehungsmuster sind stark geprägt von innerem Druck: „Ich darf nicht ausfallen. Ich muss stabil bleiben für den anderen.“

In Partnerschaften zeigt sich das oft in einer ungleichen Dynamik: Einer trägt - das kann emotional, organisatorisch, manchmal auch finanziell sein. Der andere wirkt hilfsbedürftig, labil oder überfordert. Dadurch bleibt der Fokus immer beim Bedürftigen, die Bedürfnisse des Helfenden rücken in den Hintergrund.

Hinter diesem Muster steht meist bei beiden Partnern ein unsicher gebundener Bindungstyp, häufig ängstlich-ambivalent, mit Anteilen des desorganisierten Typs. Die emotionale Sicherheit wird nicht über Gegenseitigkeit erlebt, sondern darüber, unersetzlich zu sein.

Warum gerate ich immer an denselben Typ Mensch?

Unsere Bindungstypen suchen meist das, was uns vertraut ist. Und was wir als vertraut empfinden, fühlt sich erst mal „richtig“ und oft auch erstmal sicher an. Egal ob es wirklich gut ist oder nicht. Unser inneres Beziehungssystem orientiert sich an frühen Erfahrungen: So ist Beziehung. So fühlt sich Nähe an. Auch wenn diese Erfahrungen geprägt waren von Unsicherheit, emotionaler Unerreichbarkeit oder dem Gefühl, sich Liebe erst verdienen zu müssen – unser System hält sie für vertraut. Und Vertrautheit wird oft mit Sicherheit verwechselt.

Tief in uns suchen wir eigentlich nach etwas anderem: in uns gibt es das Bedürfnis nach sicherer Bindung, nach Verlässlichkeit, nach Gesehenwerden und echter Nähe. Aber weil unser Nervensystem auf andere Muster geprägt ist, erkennen wir gesunde Verbindung oft nicht als solche oder wir empfinden sie sogar als langweilig oder „nicht genug“.

So kommt es, dass sich zum Beispiel verlustängstliche Menschen oft zu vermeidenden Partnern hingezogen fühlen – und umgekehrt. Das Verhalten des anderen aktiviert unser altes Muster: einer zieht sich zurück, der andere klammert. Einer hat Angst vor Nähe, der andere vor dem Alleinsein. Das tut weh, aber es fühlt sich bekannt an. Immer wieder geraten wir an unsere Wunden, in der Hoffnung, sie diesmal zu heilen. Meist aber mit Strategien, die nicht funktionieren, solange wir nicht erkennen, was darunter liegt.

Wirkliche Veränderung beginnt da, wo wir den Unterschied spüren lernen: zwischen dem, was uns vertraut ist und dem, was uns wirklich gut tut.

Und das zeigt sich oft schon ganz am Anfang, noch bevor überhaupt eine Beziehung entsteht. Denn auch beim Dating wirken unsere Bindungstypen mit. Wer genau hinschaut, kann oft schon früh erkennen, welche Dynamiken schon zu Beginn aktiv werden und sich in einer Beziehung meist verstärken.

Wie sich Bindungstypen beim Dating zeigen – und warum „sichere“ Menschen manchmal gar nicht so spannend wirken

Schon beim Kennenlernen wirken unsere Bindungstypen. Nicht erst in festen Beziehungen, sondern oft ganz am Anfang: beim Schreiben, beim ersten Treffen, beim Warten auf eine Antwort. Was sich wie „Intuition“ anfühlt, ist häufig ein Wiedererkennen: Unser System prüft – meist unbewusst – ob das Gegenüber vertraut wirkt. Und was vertraut ist, erscheint schnell als Anziehung.

Unsicher gebundene Menschen, also ängstlich-ambivalente, vermeidende oder desorganisierte Bindungstypen, zeigen beim Dating oft folgende Verhaltensweisen:

  • Verlustängstliche (besorgt gebundene) analysieren jede Nachricht, stellen sich auf den anderen ein, geben zu viel zu früh, stellen eigene Bedürfnisse zurück.

  • Vermeidend gebundene (abweisend-autonome) verlieren das Interesse, wenn Nähe entsteht – oder suchen bewusst unerreichbare Partner.

  • Desorganisierte Bindungstypen (ängstlich-vermeidend) erleben ein intensives Wechselspiel aus Anziehung und Überforderung, Nähe und Rückzug – oft schon beim Schreiben.

Sicher gebundene Menschen hingegen wirken oft ruhig, verlässlich, klar. Sie melden sich regelmäßig, stellen Fragen, setzen Grenzen. Sie spielen keine Spiele. Das wird von unsicher gebundenen Menschen manchmal als „langweilig“ oder „nicht aufregend genug“ empfunden. Denn wenn wir Drama, Unsicherheit oder emotionales Auf und Ab gewohnt sind, kann sich ein Mensch mit sicherem Bindungstyp fast fremd anfühlen. Und Verliebtheit stellt sich dann nicht ein. Oft wird gesagt, dass „die Gefühle nicht ausreichen“.

Was du tun kannst, wenn dich sichere Menschen irritieren:

  • Beobachte, was in dir passiert: Wird dir langweilig oder ist es nur ungewohnt ruhig?

  • Erkenne: Das Drama der Vergangenheit ist kein Maßstab für echte Verbindung.

  • Halte inne, wenn du flüchten willst und frage dich: Ist das Angst oder wirklich Desinteresse?

  • Gib dir Zeit, einen sicheren Menschen überhaupt kennenzulernen bevor du ihn innerlich direkt wieder wegschiebst.

Wie Veränderung gelingt und was du konkret tun kannst

Dein Bindungstyp oder der deines Partners verändert sich nicht von allein. Es braucht Zeit, Kraft und viel Mitgefühl. Du kannst viel für dich tun, vor allem findet Veränderung aber in Beziehung statt: mit dir selbst, mit anderen, im echten Kontakt. Besonders dann, wenn du beginnst, dich anders zu verhalten als bisher: liebevoller mit dir, klarer mit anderen.

Das kannst du tun – im Dating wie in Beziehung:

  • Beobachte dich liebevoll: Wann springt dein altes Muster an? Woran merkst du, dass du dich verbiegst? Was fühlt sich eng oder zu schnell an?

  • Achte auf dein Nervensystem: Ist es wirklich „kein Interesse“ – oder fühlst du dich überfordert? Möchtest du wirklich zurückschreiben oder willst du gerade Sicherheit spüren?

  • Bleib im Kontakt, wenn du gehen willst. Oder nimm dir Raum, wenn du sonst klammern würdest. Bleib bewusst und freundlich, ohne dich zu überfordern.

  • Sprich über das, was in dir ist: Vielleicht nicht sofort. Aber mit Menschen, die dich sehen können, ohne dich zu bewerten.

  • Übe Selbstregulation: Atmen. Innehalten. Spüren: Was brauche ich gerade? Was fühle ich und was davon gehört zur Gegenwart?

  • Setze Grenzen und nimm dich ernst: Nicht jeder Mensch ist geeignet für Beziehung. Aber du bist es. Und du darfst entscheiden, was dir guttut.

  • Erlaube dir Unterstützung: Ob therapeutisch, freundschaftlich oder durch Coaching, du musst das nicht allein schaffen.

Veränderung ist kein Ziel, sondern ein Prozess. Ein Weg zu dir selbst. Und zu der Art von Verbindung, nach der du dich tief im Innersten wirklich sehnst: ruhig, verlässlich, liebevoll. Sicher.

Was du auch für dein Gegenüber tun kannst

Wenn du beginnst, dich mit Bindungstypen zu beschäftigen, wirst du auch im Verhalten anderer Menschen bestimmte Dynamiken erkennen. Und vielleicht merkst du: Der Mensch, mit dem du in Beziehung bist oder gerade in Kontakt kommst, zeigt ein vermeidendes oder besorgtes Muster. Vielleicht ist er überfordert, zieht sich zurück, meldet sich selten. Oder er braucht viel Rückversicherung, stellt viele Fragen, will ständig Kontakt. Das zu bemerken, bedeutet nicht, den anderen therapieren zu sollen. Aber du kannst ruhig benennen, was du bemerkst, kannst Vorwürfe vermeiden oder auch dich selbst nicht so von dem Verhalten des anderen abhängig machen. Allein das nimmt oft den Druck gegenseitiger Erwartungen.

Was hilfreich sein kann je nachdem, welchem Bindungstyp du begegnest:

  • Menschen mit Verlustangst (besorgter Bindungstyp) brauchen vor allem emotionale Verlässlichkeit. Es hilft, wenn du klar bist in deinen Signalen, transparent kommunizierst und nicht mit Absicht auf Abstand gehst, um mehr Nähe zu erzeugen. Wenn du selbst vermeidend bist, versuche, dich nicht zu sehr zu entziehen, sondern den Kontakt in kleinen Dosen aufrechtzuerhalten, ohne dich zu überfordern.

  • Menschen mit vermeidendem Bindungstyp (abweisend-autonom) brauchen oft mehr Raum, als du vielleicht intuitiv geben würdest. Versuche, deren Rückzug nicht sofort persönlich zu nehmen. Wenn du selbst eher besorgt gebunden bist, kann das eine Herausforderung sein, aber du kannst lernen, diesen Raum nicht als Bedrohung zu erleben, sondern als etwas, das dem anderen hilft, sich zu regulieren.

  • Menschen mit desorganisiertem Bindungsstil (ängstlich-vermeidend) schwanken zwischen starkem Bedürfnis nach Nähe und plötzlichem Rückzug oder Wut. Hier braucht es viel Geduld und oft auch therapeutische Begleitung. Wenn du selbst relativ stabil bist, kannst du mit klarer Sprache und ruhiger Präsenz Sicherheit geben, ohne in die Rolle des Retters zu rutschen. Und: Setze deine Grenzen, wenn du merkst, dass du selbst überfordert bist.

Egal, welchen Bindungstyp du selbst hast: Beziehung ist ein Wechselspiel. Und oft genügt es schon, wenn ein Mensch beginnt, sich sicherer zu verhalten. Das beeinflusst das gesamte System.

Fazit: Bindungstypen verstehen und echte Nähe möglich machen

Sich mit den eigenen Bindungstypen, mit alten Verletzungen, mit Schutzmechanismen auseinanderzusetzen ist oft herausfordernd. Sie stellt vieles infrage, was wir über uns, über Liebe und über andere Menschen glauben. Aber genau darin liegt ihre Kraft. Denn je mehr du verstehst, was dich geprägt hat, desto freier wirst du, neu zu wählen. Du lernst zu unterscheiden: Was gehört zur Vergangenheit und wie willst du dich heute und für die Zukunft entscheiden? Du entwickelst Mitgefühl für dich selbst, für dein Gegenüber und eine neue Form von Beziehung, die auf Klarheit, Verbindung und echter Wahl basiert. Du beginnst, Beziehungen nicht nur zu suchen, um dich sicher zu fühlen, sondern weil du selbst zu jemanden wirst, bei dem andere sich sicher fühlen können.


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Selbsttest: Hochsensibilität (HSP)