Gaslighting light: Wenn Gefühle in Beziehungen nicht ernst genommen werden
Viele kennen heute den Begriff Gaslighting. Gemeint ist, dass jemand die Wahrnehmung eines anderen absichtlich verdreht oder abwertet, um Macht oder Kontrolle auszuüben. Doch auch jenseits solcher extremen Manipulation gibt es alltägliche Formen, in denen Gefühle oder Eindrücke nicht ernst genommen werden.
Statt auf das Erleben einzugehen, hören wir Sätze wie „Ach, du übertreibst“ oder „Das war nicht so gemeint“. Kurzfristig soll das beruhigen oder Harmonie sichern. Langfristig führt es jedoch dazu, dass wir uns selbst verleugnen: Wir zeigen weniger, was uns wirklich bewegt, und beginnen, unserer inneren Stimme weniger zu vertrauen. So geht Verbindung verloren, zu uns selbst und zu anderen. Dabei haben wir alle ein tiefes Bedürfnis, gesehen und anerkannt zu werden.
In diesem Artikel schauen wir, was geschieht, wenn wir uns selbst und anderen diese Gültigkeit geben. Wir fragen, wie sich Beziehungen verändern, wenn Wahrnehmungen ernst genommen werden. Und wir schauen, welche psychologischen Erkenntnisse dazu vorliegen.
Lesezeit 15 min
Was bedeutet emotionale Validierung?
Emotionale Validierung heißt, die Gefühle und Wahrnehmungen eines Menschen ernst zu nehmen und anzuerkennen. Die Botschaft lautet: „Dein Erleben ist gültig, auch wenn ich es anders sehe.“
Ein Beispiel zeigt den Unterschied: Ein Kind spürt die Traurigkeit seiner Mutter.
Sagt sie: „Alles gut, mach dir keine Sorgen“, widerspricht sie der Wahrnehmung des Kindes – oft mit dem Wunsch, es zu schützen. Die Botschaft ist jedoch: „Das, was du fühlst, stimmt nicht.“ So lernt das Kind, seiner inneren Stimme zu misstrauen.
Sagt sie: „Ja, ich bin gerade traurig, aber es hat nichts mit dir zu tun. Ich kann gut für mich sorgen, und es wird auch wieder besser“, bestätigt sie die Wahrnehmung, ohne das Kind zu überlasten. Das Kind erfährt: „Meine Empfindung ist richtig.“
Selbst wenn die Mutter gar nicht traurig ist, kann sie die Wahrnehmung anerkennen: „Du hast gedacht, ich bin traurig. Magst du mir sagen, woran du das gemerkt hast? Ich war nur in Gedanken.“ So versteht das Kind: „Meine Wahrnehmung hatte gute Gründe.“
Validierung heißt also nicht, immer zuzustimmen, sondern erst anzuerkennen, was der andere empfindet, bevor die eigene Sicht ergänzt wird. Dadurch entsteht Vertrauen in die Beziehung und in die eigene innere Stimme.
Alltägliche Invalidierung – gut gemeint, aber schädlich
Im Alltag gibt es viele kleine Momente, in denen Gefühle oder Wahrnehmungen heruntergespielt werden. Man lenkt ab, wechselt schnell das Thema oder sagt etwas Positives, um Spannungen zu entschärfen. Für Außenstehende wirkt das harmlos, manchmal sogar fürsorglich. In Wahrheit entwertet es jedoch die innere Erfahrung des anderen.
Warum passiert das? Oft steckt ein Bedürfnis nach Harmonie oder Selbstschutz dahinter. Menschen wollen keine Konflikte riskieren, Scham vermeiden oder befürchten, dass Ehrlichkeit die Beziehung belastet. Dahinter stehen oft alte Überzeugungen wie „Ich bin nicht richtig, wie ich bin“ oder „Ich darf mich nicht zeigen“.
Die Folgen:
Keine echte Begegnung. Statt das Eigene mitzuteilen, spielen wir Rollen oder sagen, was wir glauben, dass „man“ sagen sollte.
Wachsende Selbstzweifel. Wenn Wahrnehmungen immer wieder abgetan werden, fragen wir uns: „Stimmt das, was ich fühle, überhaupt?“
Das Gefühl, zu viel zu sein. Wer nicht ernst genommen wird, empfindet sich schnell als anstrengend oder empfindlich.
Oberflächliche Gespräche. Themen werden in Standardsätzen behandelt, echte Nähe bleibt auf der Strecke.
Invalidierung kann auch nach innen wirken. Menschen übernehmen die abwertenden Botschaften und beginnen, ihre eigenen Gefühle zu entwerten: „Ich übertreibe nur“ oder „Das darf ich nicht so empfinden.“ So richtet sich die Abwertung nicht nur nach außen, sondern auch autoaggressiv gegen sich selbst.
Gaslighting vs. alltägliche Invalidierung – wo liegt der Unterschied?
Alltägliche Invalidierung und Gaslighting sind klar zu unterscheiden. Wer abwiegelt oder beschwichtigt, handelt meist unbewusst und ohne Manipulationsabsicht. Gaslighting dagegen zielt darauf ab, die Wahrnehmung des anderen systematisch zu destabilisieren, um Kontrolle und Macht zu behalten.
Typisch beim Gaslighting sind Aussagen wie „Das bildest du dir ein“ oder „Du bist verrückt“, die den anderen dauerhaft verunsichern sollen. Entscheidend ist die Wirkung: Sie verkehrt die Realität des Betroffenen so lange, bis er an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelt. Ob dies bewusst kalkuliert oder aus einem tief verankerten Machtbedürfnis heraus geschieht, ist zweitrangig – es bleibt psychische Gewalt.
Beide Phänomene schwächen die Selbstwahrnehmung. Doch während Gaslighting gezielt destruktiv ist, sind alltägliche Invalidierungen unbewusste Muster. Sie können Stolpersteine im Miteinander sein, schmerzhaft, aber nicht absichtlich verletzend.
Warum fällt uns Validierung so schwer?
Eigentlich wäre es einfach: Wir könnten die Wahrnehmung des anderen anerkennen. Doch oft wehren wir sie ab aus Angst vor Konflikt oder Ablehnung.
Ein Beispiel: Jemand sagt: „Ich habe das Gefühl, du hattest keine Lust, dich bei mir zu melden.“ Ehrlich wäre: „Ja, ich wollte Zeit für mich.“ Stattdessen kommt oft: „Nein, ich war nur beschäftigt.“ Die Angst ist, dass das Eingeständnis die Beziehung gefährdet.
Häufig steckt auch Scham dahinter. Wenn jemand in uns etwas erkennt, das wir selbst ungern sehen, z.B. Ärger, Rückzug oder Unlust, fühlen wir uns ertappt und verteidigen uns: „Das stimmt doch gar nicht.“
Auch unsere Bindungsdynamiken spielen hinein. Menschen mit Verlustangst fürchten, mit ihrer Wahrnehmung und all den Gedanken zu viel zu sein oder etwas falsch zu machen. Menschen mit starkem Autonomiebedürfnis fühlen sich dagegen schnell eingeengt und unangenehm „durchschaut”, wenn andere ihnen zu nah kommen. Sie wollen ihre Wahrnehmung schützen. In beiden Fällen führt Abwehr zu Distanz – nicht, weil die Wahrnehmung falsch wäre, sondern weil wir selbst mit den Gefühlen dahinter schwer umgehen können.
Die Wirkung von Validierung: Nähe, Vertrauen und Sicherheit
Wenn Wahrnehmungen ernst genommen werden, entsteht ein Raum von Sicherheit. Es bedeutet: „Ich darf fühlen, was ich fühle – und du auch.“
Oft verwechseln wir Nähe mit Verschmelzung („Ich darf nichts anderes fühlen als du“) oder mit Distanz („Ich halte mich zurück, um Konflikte zu vermeiden“). Beides nimmt Verbindung. Validierung eröffnet einen dritten Weg: Ich und du nebeneinander. Zwei Wirklichkeiten können gleichzeitig bestehen, ohne dass eine die andere bedroht.
Das stärkt Selbstwert und Vertrauen. Wer merkt, dass der andere ehrlich benennt, was er wahrnimmt, kann sich darauf verlassen und traut auch der eigenen Wahrnehmung mehr. Konflikte verlieren an Schärfe, weil unterschiedliche Sichtweisen nicht mehr Angriff bedeuten, sondern Austausch. So entsteht echte Nähe: keine Verschmelzung, keine Distanz, sondern Verbundenheit bei voller Eigenständigkeit.
Emotionale Validierung üben – Schritt für Schritt
Validierung ist keine Technik, sondern eine Haltung. Sie lässt sich einüben, gegenüber sich selbst und anderen.
Bei sich selbst beginnen. Innehalten und fragen: Wie geht es mir? Was fühle ich? Journaling, Selbstgespräche oder Achtsamkeitsübungen helfen, Empfindungen ernst zu nehmen. Sätze wie „Mein Gefühl ist real, auch wenn andere es anders sehen“ stärken die innere Stimme.
Gefühle klar benennen. „Ja, ich war kurz ärgerlich“ – das ist keine Schwäche, sondern schafft Klarheit. Validieren heißt nicht ausagieren, sondern ausdrücken.
Andere validieren. Zuhören, nicht bewerten, nachfragen: „Wie hast du das wahrgenommen?“ oder spiegeln: „Ich habe verstanden, dass es dir so ging …“ So entsteht Sicherheit, mehr von sich zu zeigen.
Je öfter wir so üben, desto mehr verändert sich das Miteinander: weniger Missverständnisse, mehr Vertrauen, mehr Nähe.
Fazit: Von Selbstzweifeln zu sicherer Verbindung
Nähe entsteht nicht durch Anpassung, sondern durch Echtheit. Emotionale Validierung macht erfahrbar, dass Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen Raum haben dürfen, auch wenn sie sich unterscheiden.
Dein Gefühl darf sein, auch wenn meines ein anderes ist. Deine Meinung darf sein, auch wenn sie meiner widerspricht. Deine Gedanken dürfen sein, auch wenn ich anders denke.
Das gibt Sicherheit, stärkt Selbstwert und fördert echte Verbindungen. Validierung ist kein Schönreden und kein Rechtgeben, sondern ein Ausdruck von Ehrlichkeit und Respekt. Wer sich so angenommen fühlt, vertraut nicht nur sich selbst mehr, sondern auch darauf, dass das Gegenüber ehrlich ist.
Und weil es vielen schwerfällt, sich so zu zeigen, kann ein Coaching unterstützen. Bei AllyTime entsteht ein Raum, um zu üben: bei sich zu bleiben, eigene Gefühle zu benennen und gleichzeitig die Wahrnehmung anderer zu respektieren. Menschliche Begleitung und KI-gestützte Reflexion machen diesen Prozess flexibel, sicher und alltagsnah.
Unsere Psychologinnen stehen dir über unsere App AllyTime auch persönlich zur Seite.