Treffen sich ein Wolf und eine Giraffe – was bringt gewaltfreie Kommunikation (GFK)?
✔ fachlich geprüft von Riccardo Frink
Kennst du das? Dein Kind weigert sich, die Zähne zu putzen, schreit und tobt und du fühlst dich überfordert und wirst aggressiv? Du fängst an, Sätze zu sagen oder denken wie „Dann gibt es morgen keine Schokolade“ oder „Dann fressen die Zahnmonster deine Zähne auf“. Und das, obwohl du dir fest vorgenommen hast, so etwas nie zu deinem Kind zu sagen?
Hier kann die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) helfen. Das bedeutet: Weg vom Schimpfen, Streiten und Bestrafen, hin zum Erkennen von (versteckten) Bedürfnissen. Bei GFK fragt man: Was steckt hinter dem Verhalten meines Kindes? Vielleicht der Wunsch nach Autonomie, Nähe, Spiel oder Spaß?
Statt Machtkämpfe zu führen, lädt GFK ein, gemeinsam Lösungen zu finden. So kann aus dem Konflikt ein Moment der Verbindung werden. Und das gilt nicht nur für den Umgang mit Kindern. Auch in der Beziehung zur/m Partner:in, Herkunftsfamilie oder im Job kann GFK für mehr Harmonie im Alltag sorgen.
In diesem Artikel erfährst du, was Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist und was sie so wirkungsvoll macht. Wir möchten dir zeigen, wie du die 4 Schritte der GFK in deinem Alltag anwenden kannst. Außerdem lernst du, wie du ganz einfach und kostenlos ein GFK-Profi werden kannst – ganz ohne teure Seminare oder das Lesen dicker Bücher.
Lesezeit 15 min
Was ist Gewaltfreie Kommunikation? – Die Definition
Gewaltfreie Kommunikation, kurz GFK, wurde von Marshall B. Rosenberg entwickelt. Dahinter steckt eine einfache Idee: Alles, was wir tun, tun wir, weil wir ein Grundbedürfnis haben – zum Beispiel nach Sicherheit, Nähe oder Wertschätzung [1]. Statt zu schimpfen oder Vorwürfe zu machen, hilft GFK, über diese Bedürfnisse zu sprechen und sich besser zu verstehen.
Ganz einfach gesagt: GFK ist eine Methode, die Streit entschärfen und echte Verbindung schaffen kann. Dabei geht es nicht nur um Worte, sondern auch darum, einfühlsam, offen und aufmerksam zu sein – mit anderen und mit sich selbst.
Die GFK-Methode kann sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld angewendet werden. Sie kann dir dabei helfen, Missverständnisse zu vermeiden und ein respektvolles Miteinander zu fördern. Dadurch können soziale Beziehungen gestärkt und ein friedliches Zusammenleben gefördert werden. Ergo: Alle können sich sicherer und wohler fühlen.
Wer war Marshall B. Rosenberg?
Marshall B. Rosenberg (1934–2015) war ein amerikanischer Psychologe und der Erfinder der Gewaltfreien Kommunikation (GFK). Er wuchs in einer Umgebung auf, in der es viel Gewalt und Rassismus gab. Diese Erfahrungen prägten ihn und machten ihn neugierig: Warum verstehen sich Menschen oft nicht, und warum lösen sie Konflikte mit Gewalt?
Seine Motivation war, einen Weg zu finden, wie Menschen besser miteinander reden und Konflikte friedlich lösen können. Mit der GFK wollte er zeigen, wie wir unsere Bedürfnisse ausdrücken können, ohne andere zu verletzen, und wie wir gleichzeitig die Bedürfnisse der anderen besser verstehen können. Seine Methode wird heute weltweit genutzt – in Familien, Schulen, bei der Arbeit und sogar in Friedensverhandlungen.
Die 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation: ein Fallbeispiel
Jetzt, wo wir wissen, wer die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) erfunden hat und warum, schauen wir uns die 4 Schritte an. Diese Schritte sollen dir dabei helfen, Konflikte friedlich zu lösen – egal ob mit deinem Kind, deinem Partner oder im Job. Die 4 Schritte sind [4]: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Wir haben ein Beispiel für dich, wie das aussehen könnte:
Beispiel: Dein Kind hat vorm Schlafengehen keine Lust mehr aufzuräumen. Du bist genervt und weißt nicht, was du machen sollst, außer zu schimpfen oder zu drohen, denn du bist müde und abgekämpft (was übrigens völlig normal ist). Hier könnte die gewaltfreie Kommunikation so aussehen:
1. Beobachtung
Du beginnst mit einer sachlichen Beschreibung der Situation, ohne Vorwürfe oder Bewertungen:
„Es ist jetzt 20:30 Uhr, und du bist noch nicht im Bett. Deine Spielsachen liegen noch im Wohnzimmer verstreut.“
Wo ist der Unterschied? Anstatt zu sagen: „Du bist immer so unordentlich und hörst nie auf mich!“ oder „Wenn du nicht aufräumst, dann lese ich dir nicht mehr vor“, vermeidest du Schuldzuweisungen. Dein Kind fühlt sich dadurch nicht angegriffen oder kritisiert. Es kann klarer hören, was du sagst, und muss sich nicht sofort verteidigen.
2. Gefühl
Du teilst deinem Kind mit, wie du dich fühlst.: „Ich bin gerade erschöpft und auch ein bisschen genervt.“
Wo ist der Unterschied? Wenn du stattdessen sagen würdest: „Warum machst du es mir immer so schwer?“ oder „Ich bin echt enttäuscht von dir! Wir haben das schon tausendmal besprochen und noch immer machst du nicht, was ich dir sage. Deinetwegen bin ich nur noch am Ende!“, würde das dein Kind beschämen oder frustrieren.
Mit einer ehrlichen Gefühlsäußerung ohne Anklage sieht dein Kind, wie es dir geht, und kann empathischer reagieren. Kinder wollen in der Regel kooperieren, wenn sie spüren, dass ihre Eltern ehrlich, aber nicht verletzend sind.
3. Bedürfnis
Erkläre, warum du dich so fühlst – welches Bedürfnis steckt dahinter? „Ich brauche abends etwas Ruhe für mich, damit ich entspannen kann und morgen wieder Spaß haben kann. Meine Spaß-Tankstelle muss aufgeladen werden. Außerdem ist mir wichtig, dass unser Zuhause ordentlich ist, bevor wir schlafen gehen. So habe ich morgen früh mehr Zeit mich mit dir zu beschäftigen.“
Wo ist der Unterschied? Anstatt nur Regeln wie „Es ist Zeit fürs Bett, weil ich das sage!“ durchzusetzen, erklärst du deinem Kind deine Bedürfnisse. Es versteht dadurch besser, warum aufgeräumt werden soll. Kinder reagieren oft positiv, wenn sie die Gründe hinter einer Anweisung kennen. Es lernt außerdem, dass Gefühle und Bedürfnisse zusammenhängen und dass es wichtig ist, sie auszudrücken.
4. Bitte
Du formulierst eine konkrete, freundliche Bitte, die dein Kind umsetzen kann. „Kannst du bitte jetzt deine Spielsachen aufräumen und dann ins Bett gehen? Wenn du fertig bist, können wir noch eine Geschichte lesen.“
Wo ist der Unterschied? Anstelle von Befehlen wie „Räum jetzt sofort auf und geh ins Bett! Ich zähle bis drei. EINS…!“ bietest du eine klare, machbare Lösung an. Zusätzlich motivierst du dein Kind, indem du ihm eine positive Aussicht gibst (z. B. die Geschichte). Das zeigt deinem Kind, dass du auf seine Bedürfnisse – vielleicht Nähe und Spiel – Rücksicht nimmst.
Wie fühlt sich dein Kind dabei?
Vielleicht fragst du dich ‚Was soll das bringen?‘. Oder du denkst ‚Als ob das funktionieren würde!‘ Logisch: GFK ist keine Zauberei und löst alle Konflikte sofort. Außerdem ist dein Kind nun mal ein Kind und steckt vielleicht Vollgas in der Autonomiephase oder vielleicht sogar schon in der Pubertät. Wir sagen dennoch: Probiere es aus und bleibe dran. Denn dein Kind fühlt sich dabei wahrscheinlich:
Sicher und respektiert: Dein Kind wird nicht angeschrien oder beschämt. Es fühlt, dass du es ernst nimmst und respektierst.
Verstanden: Dein Kind spürt, dass du dich bemühst, auch seine Sichtweise und Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Kooperativer: Kinder sind eher bereit zu kooperieren, wenn sie verstehen, warum etwas wichtig ist, und sich gesehen fühlen.
Wird das Kind nun aufräumen und ins Bett gehen?
Ja – zumindest viel eher als bei Befehlen, Wutausbrüchen oder Vorwürfen. Warum ist das so? Weil es:
Nicht in einen Machtkampf mit dir gedrängt wird,
deine Beweggründe verstehen darf,
eine klare Anleitung bekommt, was es tun soll, und nicht raten muss, was du von ihm erwartest,
motiviert wird durch eine positive Aussicht (z. B. die Geschichte).
Selbst wenn dein Kind zunächst zögert, könntest du mit ihm gemeinsam anfangen: „Komm, ich helfe dir beim ersten Spielzeug, und dann machst du weiter.“
Oder du erfindest ein Spiel (wenn du dafür noch die Kraft hast). Du könntest die Aufgaben aufteilen und einen Wettbewerb draus machen: „Du die Holzklötze ich das Playmobil – wer zuerst fertig ist!“. Das stärkt eure Verbindung und fördert die Kooperationsbereitschaft.
Der Unterschied liegt hier in der Haltung: Du arbeitest mit deinem Kind zusammen, statt gegen es. GFK kann Verständnis und Verbindung schaffen, wo sonst Frust und Widerstand entstehen könnten. Das Kind lernt zudem wichtige soziale Fähigkeiten – Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und friedlich Lösungen zu finden.
Was habe ich von Gewaltfreier Kommunikation?
Egal ob in der Familie, im Job oder in Beziehungen – Konflikte gehören zum Leben. Doch der Umgang damit entscheidet, ob sie trennen oder verbinden. Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) hilft dir, Konflikte besser zu bewältigen und Beziehungen zu stärken [5].
Mit GFK kannst du:
Missverständnisse klären: Indem du ehrlich und direkt sprichst, ohne andere anzugreifen.
Beziehungen vertiefen: Weil du die Bedürfnisse und Gefühle aller Beteiligten verstehst und respektierst.
Konflikte entschärfen: Indem du Vorwürfe in wertschätzende Sprache verwandelst.
Was ist Giraffensprache – was Wolfssprache?
Die Begriffe "Giraffensprache" und "Wolfssprache" stammen auch von Marshall B. Rosenberg, und dienen dazu die zwei grundlegend verschiedene Kommunikationsstile bildhaft zu erklären [6]:
Die Giraffensprache steht für Einfühlsamkeit und Wertschätzung. Die Giraffe hat das größte Herz aller Landtiere und symbolisiert deshalb Mitgefühl und Achtsamkeit. Wer in Giraffensprache spricht, konzentriert sich darauf, die eigenen Bedürfnisse klar auszudrücken und gleichzeitig die Perspektive des Gegenübers zu verstehen.
Die Wolfssprache hingegen repräsentiert eine aggressive und bewertende Art der Kommunikation. In dieser Sprache werden oft Vorwürfe gemacht oder Forderungen gestellt, ohne Rücksicht auf die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person. Sie führt häufig zu Abwehrhaltungen und verstärkt Konflikte.
Durch diese bildhafte Sprache wird schnell klar, dass es bei der Gewaltfreien Kommunikation darum geht, vom "Wolf" zum "Giraffenstil" zu wechseln: von Angriff und Verteidigung hin zu einem wertschätzenden, empathischen Dialog.
Giraffensprache mit Kindern
Durch die Giraffensprache lernen Kinder, ihre Gefühle und Bedürfnisse besser zu erkennen und auszudrücken [7]. Das kann ihnen helfen, Konflikte konstruktiv zu lösen und gleichzeitig die Perspektiven anderer zu respektieren. So entwickeln sie bereits früh wichtige soziale Fähigkeiten wie Empathie und Kommunikation [6].
Wie kann ich gewaltfreie Kommunikation lernen?
Gewaltfreie Kommunikation (GFK) kann also den Alltag erleichtern und für mehr Harmonie in Familie, Beruf und Beziehungen sorgen. Doch wie lässt sich diese hilfreiche Methode lernen?
Keine Sorge, GFK ist für jeden zugänglich und einfach zu üben – egal ob du Anfänger bist oder bereits erste Erfahrungen gesammelt hast. Hier sind praktische Ansätze, die dir helfen, GFK Schritt für Schritt in dein Leben zu integrieren.
1. Arbeitsblätter nutzen
Für schwierige Gespräche kannst du dir ein GFK-Arbeitsblatt anlegen oder dir das AllyTime GFK-Arbeitsblatt herunterladen. Schreibe auf:
Was ist passiert? (Beobachtung)
Wie fühle ich mich? (Gefühl)
Was brauche ich? (Bedürfnis)
Was wünsche ich mir? (Bitte)
2. Gefühle und Bedürfnisse trainieren
Ein breiter Wortschatz für Gefühle und Bedürfnisse hilft dir, dich besser auszudrücken.
Beispiele für Bedürfnisse:
Sicherheit
Verbindung
Wertschätzung
Ruhe
Freiheit
Selbstwirksamkeit
Beispiele für Gefühle:
Freude
Traurigkeit
Frustration
Dankbarkeit
3. Nutze kostenlose Online-Ressourcen
Es gibt zahlreiche Onlinekurse, Bücher, Podcasts und Tutorials, die dir helfen können, GFK zu lernen. Auf Plattformen wie YouTube findest du einfache und gut verständliche Anleitungen.
4. Übung macht die Meisterin/den Meister
Nutze alltägliche Situationen, um GFK zu trainieren. Frage dich: „Was ist das Bedürfnis hinter der Aussage meines Gegenübers?“
5. Hol dir Hilfe
Unser Psycholog:innen-Team von AllyTime kann dir helfen, GFK zu lernen und maßgeschneidert in deinen Alltag zu integrieren. Sei es, dass du Probleme im Job hast, Kommunikationsprobleme mit deinem Partner oder deinen Eltern lösen möchtest, oder ob du deine Kinder liebevoller begleiten willst – wir unterstützen dich auf deinem Weg.
Vorteile von GFK
Das Erlernen von GFK bringt zahlreiche Vorteile mit sich – egal ob im Job oder im Privatleben:
Bessere Beziehungen: Missverständnisse werden reduziert.
Stärkeres Teamwork: Konflikte im Beruf können schneller gelöst werden.
Mehr Empathie: Du verstehst dich selbst und andere besser.
Nachteile der GFK
Es kann passieren, dass dein Umfeld zunächst irritiert auf deinen neuen GFK-Ansatz reagiert. Besonders in beruflichen Kontexten könnten Kolleg:innen oder Vorgesetzte sich herausgefordert fühlen, wenn du ungewohnt empathisch und bedürfnisorientiert kommunizierst.
Hier ist es wichtig, bei dir zu bleiben und deinem Weg treu zu bleiben. Vielleicht braucht es etwas Zeit, bis dein Umfeld erkennt, wie wertvoll dieser Ansatz ist. Mit etwas Geduld, Selbstfürsorge und Konsequenz kannst du jedoch oft eine positive Veränderung bewirken und andere inspirieren, ebenfalls auf „Giraffensprache“ umzusteigen.
Fazit
Die Gewaltfreie Kommunikation ist mehr als nur eine Technik. Sie ist eine Haltung, die zu mehr Verbundenheit, Klarheit und Frieden führt. Indem du lernst, deine Bedürfnisse klar auszudrücken und die deines Gegenübers zu erkennen, kannst du Beziehungen nachhaltig verbessern. Probier es aus! Fang mit kleinen Schritten an und schau, wie GFK dein Leben positiv verändern kann. Vielleicht ist ja auch ein GFK-Kurs der nächste Schritt für dich?
Unsere Psychologinnen stehen dir über unsere App AllyTime auch persönlich zur Seite.
Quellen:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation?utm_source=chatgpt.com
[2] https://we-space.net/zitate-von-marshall-b-rosenberg-zur-gfk-gewaltfreie-kommunikation/
[3] https://www.fachverband-gfk.org/ueber-uns/ueber-gewaltfreie-kommunikation/mbr?utm_source=chatgpt.com
[4] https://timo-gesterkamp.de/4-schritte-der-gewaltfreien-kommunikation/
[5] https://www.gfk-info.de/was-ist-gewaltfreie-kommunikation/
[6] Schoppe, S., Stück, M. Wertschätzende Kommunikation in Kindertagesstätten. Präv Gesundheitsf 7, 229–236 (2012). https://doi.org/10.1007/s11553-012-0352-3