Schulangst: Warum will mein Kind nicht in die Schule?
Wenn Ängste Kinder krank machen und wie ihnen geholfen werden kann.
Montagmorgen, 06:55. Der Wecker klingelt. Doch statt aufzustehen und zum Frühstück zu gehen, bleibt Emil unter der Decke liegen. Emil hat heute Bauchweh. Manchmal klagt er auch über Kopfschmerzen. Auch nachts ist Emil in letzter Zeit häufig wach. Manchmal weint er morgens. „Ich kann heute aber nicht zur Schule!” fleht er seine Eltern an. Seit mehr als drei Wochen geht das jetzt so, und die Kinderärztin hat keine Ursachen für Emils Symptome feststellen können. Der Klassenlehrer hat die Eltern bereits kontaktiert: Was denn mit Emil auf einmal los sei, fragt er? Die Eltern von Emil sind mittlerweile ratlos und mit ihren Kräften am Ende. Seit Emils Symptome vor drei Wochen begannen, müssen sich Mama oder Papa gemeinsam mit Emil auf den Weg zur Schule machen und kommen deshalb meistens zu spät zur Arbeit. Emils Vater besteht darauf, dass sein Sohn trotzdem wieder zur Schule geht, Emils Mama möchte nochmal zur Kinderklinik, um etwas Schlimmeres auszuschließen. Uneinigkeiten und Familienstreit stehen derzeit an der Tagesordnung.
Die Hilflosigkeit der Eltern wächst.
Und Emils Symptome bleiben.
So oder so ähnlich kann sich Schulangst äußern - doch was ist eigentlich Schulangst? Und welche Ursachen können dahinter stecken?
Inhalt:
1. Was ist eigentlich Schulangst?
Mein Kind will nicht in die Schule. Und was jetzt? Erst einmal : So wie Emil geht es schätzungsweise 600.000 bis 700.000 Kindern & Jugendlichen in Deutschland. Schulängste sind also keine Seltenheit. Seit der Pandemie hat sich diese Zahl erhöht. Aber was ist eigentlich genau mit dem Begriff Schulangst gemeint?
Schulangst kann sich auf verschiedene Art und Weisen zeigen: Leistungsängste, Prüfungsangst, Mobbing, Angst vor Lehrer:innen, oder auch soziale Ängste. Manchmal ist die Angst auch gar nicht an etwas Konkretem festzumachen. Kennzeichnend ist, dass das Erleben von Angst vor oder während des Schulbesuchs vorkommt.
Davon abgrenzen kann man Schulphobie und Schulschwänzen: Die Schulphobie zeigt sich meist in Trennungssituationen und kommt daher oft z.B. bei der Einschulung vor. Die Furcht vor dem Verlust von Hauptbezugspersonen steht hierbei im Vordergrund: Kinder möchten oft nicht mehr ohne die Hauptbezugsperson schlafen, haben große Angst vor Liebesentzug, zeigen extremes Vermeidungsverhalten gegenüber Aktivitäten ohne Bezugspersonen.
Beim Schulschwänzen geht es um die Vermeidung von Unlust, Anstrengung und Mühen.
2. Woher kann Schulangst kommen?
Du fragst dich wahrscheinlich, woher denn die Ängste deines Kindes kommen. Vielleicht ist dein Kind sonst sogar sehr gerne in die Schule gegangen und nun ist auf einmal alles anders. Schulangst kann ganz unterschiedliche Ursachen haben, oft spielen sie zusammen und sind ganz individuell.
Versagensängste
Manche Kinder mit Schulangst haben Angst, in der Schule nicht mithalten zu können und fühlen sich unter Druck gesetzt. Dieser Druck kann von den Lehrer:innen kommen, bestimmten Prüfungssituationen oder von den Eltern des Kindes, die hohe Erwartungen an ihr Kind haben. Manchmal stecken auch unerkannte Teilleistungsschwierigkeiten wie z. B. eine „Lese-Rechtschreibschwäche” (LRS) dahinter. Versagensängste kommen in jedem Alter vor, sogar schon bei den ganz Kleinen.
Soziale Ängste
Auch soziale Situationen können einen Grund für Schulangst darstellen: Kinder, die eher schüchtern sind, haben es vielleicht etwas schwieriger, Freunde zu finden. Sie haben möglicherweise Angst, ausgeschlossen und nicht beachtet zu werden und nicht Teil von Gruppen zu sein. Kinder mit sozialen Ängsten haben oft Angst vor negativer Bewertung, zu sehr im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen und sich zu blamieren. Sie ertragen soziale Situationen oft mit unangenehmen Gefühlen.
Hänseleien
Schulangst kann auch durch Mobbingerfahrungen oder Misshandlungen entstehen: In der Schule gibt es manchmal Hänselei wegen Hochbegabung oder besonderem Sozialverhalten wie bei ADHS oder Asperger.
Doch nicht nur auf der Ebene des Kindes kann es zu Ängste kommen, manchmal stecken hinter diesen die Ängste von uns Eltern: Diese können sich auf Kinder übertragen. Hier ist es wichtig, an den Emotionen und dem Verhalten auf Elternebene zu arbeiten.
3. Welche Symptome können auf Schulangst hinweisen?
Schulangst kann an verschiedenen Symptomen erkannt werden. Hier einige davon:
psychosomatische Beschwerden: Bauchweh, Kopfweh, Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufbeschwerden.
Ein- und Durchschlafstörungen
Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten
schlechter werdende Noten
vermeidendes Verhalten (z.B. nicht mehr melden/sprechen im Unterricht)
Rückzug aus sozialen Aktivitäten, die mit der Schule zu tun haben
Niedergeschlagenheit oder depressive Stimmung
Weinen oder Panik bei bevorstehendem Schulbesuch
Schulweg nur noch in Begleitung machbar
Am Wochenende “Bauchweh frei”
Natürlich können einige dieser Symptome auch bei einem „normalen” Infekt auftauchen.
Wie also kann man diese von Schulangst abgrenzen? Es ist wichtig ärztlich abzuklären, ob die Symptome organische oder andere Ursachen haben. Kann der Kinderarzt aber nichts feststellen, kannst du dein Kind ganz genau beobachten: Stellt sich das Bauchweh immer unter der Woche ein? Zeigen sich die Beschwerden am Wochenende? Oder in den Ferien? Vielleicht zeigen sich die Beschwerden auch immer, wenn am nächsten Morgen ein bestimmtes Schulfach ansteht?
4. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Das Gute ist: Werden schulbezogene Ängste erkannt, können diese meist sehr gut behandelt werden. Wichtig ist es, so früh wie möglich etwas dagegen zu tun, damit die Symptome nicht schlimmer werden.
Kommunikation auf allen Ebenen
Ganz wichtig ist es, deinem Kind bei seiner Reise beizustehen und es in der Bewältigung so gut es geht zu unterstützen: In einer liebevollen Kommunikation mit deinem Kind zu bleiben und gemeinsam über die Ängste und Sorgen zu sprechen. Außerdem die Ängste und Sorgen wirklich ernst nehmen. Auch den Druck erst einmal ganz rauszunehmen, kann deinem Kind zeigen: „Ich bin auf deiner Seite und ich verstehe dich! Gemeinsam schaffen wir das!”
Auch mit anderen Personen des Schulnetzwerks sollte offen über die Schulangst deines Kindes gesprochen werden: Gibt es auch Schulpsycholog:innen oder Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen, welche Hilfe anbieten? Hat das Kind auch enge Freunde, die beim Schulbesuch und Schulweg unterstützend wirken können? Vor allem Klassenlehrer:innen und Lehrer:innen sind wichtig: Oft wirkt sich das positiv aus, da eingeweihte Personen dann anders auf das Kind reagieren und es auch ganz aktiv unterstützen können (z.B. mittels kleiner Handzeichen, besonderer Bestärkung, Möglichkeiten mündliche Prüfung durch schriftliche zu ersetzen ect.).
Gemeinsam wirksame Methoden ausprobieren
Eine schöne gemeinsame Tätigkeit kann zum Beispiel ein Schulangst-Tagebuch sein
Routine aufrechterhalten oder eine neue Routine vor Schulbesuch einführen
Kraftgeber / Glücksbringer finden: Hier ist es wichtig, dass dein Kind diese auch öfter wechselt, damit es sich nicht nur auf einen fokussiert und sich dann hilflos fühlt, sollte dieser einmal verloren gehen!
Entspannungsübungen oder Rituale, die deinem Kind helfen mit Stress und Angst besser umzugehen: je nach Persönlichkeit des Kindes können hier z.B. warme Bäder, schöne Klänge, Körperreisen, Meditationen, progressive Muskelentspannung, Autogenes Training oder Atemarbeit, wie z.B. Blockatmen sehr hilfreich sein
Gerüche, Geschmäcker oder Berührungen können auch ins Hier & Jetzt holen und so von innerlicher Unruhe und Angst weglenken
Bücher, die Mut machen: Eines unserer Lieblingsbücher für kleinere Kinder ist z.B. „Der Grüffelo” von Julis Donaldson
aktive und sportliche Freizeitaktivitäten schaffen: dort kann dein Kind seinen Selbstwert stärken, Selbstwirksamkeit erleben und sich selbst anders wahrnehmen als im Schulkontext. Dieses positive Erleben kann dann mit in den Schulalltag genommen werden.
Expert:innen bei Schulangst einbeziehen
Letztlich ist es immer wichtig auch Experten wie Psychotherapeut:innen mit einzubeziehen, wenn die Schulangst deines Kindes über mehrere Wochen anhält oder nicht durch eigene Maßnahmen verbessert werden kann. Den meisten Kindern kann dann sehr gut mit einer Therapie geholfen werden. Auch Jugendliche freuen sich oft sehr, ihre Probleme einer externen Person anzuvertrauen und mit Expert:innen darüber zu sprechen.
AllyWells Schulstark-Programm
Nicht jedes Kind braucht unbedingt eine Therapie. Im Dschungel der ganzen Infos und Hilfestellungen ist es oft nicht ganz einfach, sich zurechtzufinden. Dafür haben wir das AllyWell Schulstark-Programm entwickelt. Als AllyWell bieten wir psychologisches Coaching für Kinder und Eltern an. Von den kleinen Fragen bis zu den großen - online sind unsere Mental Health Coaches für alle erreichbar.
Manchmal können kleine eigene Schritte schon viele Veränderungen bewirken und dein Kind und so deine ganze Familie stärken.
Auch Emil hat mit seinen Eltern ein Angsttagebuch angefangen und spricht mittlerweile offen mit seinen Mitschülern über seine Ängste. Die Lehrer:innen wissen Bescheid und manchmal hat er eine Stunde bei der Schulpsychologin. Auf dem Schulweg nimmt Emil sein kleines Tier namens Grüffelo mit und meint mittlerweile auch ganz selbstbewusst : „Keine Angst vor Schulangst, das bekommen wir hin!”