Mutterseelenallein – Hilfe bei postpartaler Depression
✔ fachlich geprüft von Lea Siemann (Dipl. Pädagogin)
Gerade beim ersten Kind ist die Aufregung während der Schwangerschaft für alle sehr groß. Am meisten aber für die werdende Mutter. Der Körper verändert sich, die Hormone können für nie dagewesene Glücksgefühle, aber auch für Ängste und Traurigkeit sorgen. Die Vorfreude, der „Nestbau“, Baby-Partys und weichgezeichnete Fotos in den sozialen Medien suggerieren der werdenden Mutter: Die schönste Zeit deines Lebens fängt bald an.
Doch was, wenn bei der Entbindung nicht das große Glück mitgeliefert wird? Was, wenn die neue Mutter gar nichts für das neue Leben in ihrem Arm empfindet? Oder panische Angst hat, dass dem Kind etwas zustößt? Oder sogar wünscht, das Baby wäre wieder weg?
Ein Grund für diese Gefühle und Gedanken kann eine postpartale Depression sein. Dieser Artikel soll die Ursachen und Symptome der postpartalen Depression, auch bekannt als Wochenbettdepression, beleuchten. Und wir geben Tipps, was man gegen die postpartale Depression tun kann und wo man Hilfe bekommt.
Lesezeit 25 Min
Was ist eine postpartale Depression? – physische Ursachen
Eine postpartale Depression ist eine Form der Depression, die bei der Mutter nach der Geburt ihres Kindes auftreten kann. Diese Zeit ist sehr herausfordernd für die meisten Eltern und speziell für Mütter. Denn nach der Geburt durchlebt der Körper der Mutter große Veränderungen, vor allem hormonell.
Postpartal oder postnatal – wo ist der Unterschied?
Immer wieder liest man von postpartaler, aber auch von postnataler Depression. Wo liegt denn hier der Unterschied? Postpartal bedeutet "nach der Geburt eines Kindes" und meint damit die Mutter. Postnatal bezieht sich hingegen auf das Kind.
Hormonelle Ursachen
Während der Schwangerschaft sind die Hormone Estrogen (auch Östrogen) und Progesteron auf einem Allzeithoch und fallen nach der Entbindung plötzlich stark ab. Dieser Hormonabfall kann dazu führen, dass die Mutter mitunter eine tiefe Traurigkeit empfindet.
Körperliche Ursachen
Neben dem Hormonabfall können auch Anstrengung und Schmerzen der zurückliegenden Schwangerschaft und Geburt dazu führen, dass die frisch gebackene Mutter erschöpft ist. Mütter haben in der Regel kaum Zeit und Raum, sich davon ausreichend zu erholen. Nicht selten müssen Mütter auch mit Geburtsverletzungen, Brustentzündungen und Verspannungen weiter funktionieren und sich um ihr Baby kümmern.
Postpartale Depression – psychische Ursachen
Auch das Umfeld, die eigene erlebte Kindheit der Mutter und der gesellschaftliche Druck können eine postpartale Depression begünstigen. Psychische Faktoren, die eine postpartale Depression begünstigen können, reichen von familiärer Disposition bis hin zur instabilen Lebenssituation. Wir haben die wichtigsten Ursachen einmal zusammengefasst.
Ängste und Unsicherheiten
Plötzlich ist das Baby da. Egal, wie sehr man sich darauf vorbereitet und vielleicht auch sehnsüchtig gewartet hat, viele Eltern trifft das wie ein Schlag. Die Verantwortung und Unsicherheit im Umgang mit dem Säugling und das Infragestellen der eigenen Elternkompetenzen können enormen psychischen Druck ausüben.
Hinzu kommen der Schlafmangel, die vielen neuen Herausforderungen und die intensive körperliche Nähe zum Baby. Langes Stillen, Füttern, Tragen oder Trösten können die Stimmung der Mutter stark beeinflussen. Dafür muss das Baby gar kein „Schrei-Baby“ oder „High-Need-Baby“ sein. Die Mütter dieser Babys erleben sich oft zusätzlich als unfähig, ihr Kind zu beruhigen und schämen sich dafür. Ein Kreislauf zwischen Unsicherheit und Erschöpfung der Mutter und dem steigenden Bedürfnis des Babys kann dann entstehen und stellt eine Belastung für alle Familienmitglieder dar.
Familiäre Disposition
Frauen, die eine psychische Vorerkrankung, wie Depressionen oder Ängste haben oder in der Vergangenheit hatten, neigen eher dazu, eine postpartale Depression zu entwickeln. Auch hochsensible Frauen zeigen eine höhere Neigung, eine postpartale Depression auszubilden.
Das Auftreten von psychischen Erkrankungen in der Herkunftsfamilie erhöht zudem das Risiko einer postpartalen Depression. Gerade Frauen, deren eigene Mutter unter einer postpartalen Depression litt, sollten sich eingehend auf die Zeit im Wochenbett vorbereiten. Für eine genetische Disposition kann man nichts, deshalb ist es umso wichtiger, mit dieser frühzeitig und so gut es geht umzugehen und psychischen Erkrankungen vorzubeugen.
Fehlendes soziales Netzwerk
„Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ – so sagt man. Heutzutage wohnen Familie und Freude meist nicht mehr im gleichen Haus oder nebenan, das hat Vor- aber auch Nachteile. Zudem sind Großeltern und Freunde meist selbst voll eingespannt durch Familie und Beruf. Hebammen sind in Großstädten wie Hamburg, München und Berlin rar gesät und in ländlichen Regionen sind Fahrwege oft lang und mühselig. Auch Kita- und Krippenplätze und Tagesmütter und -väter sind schwer zu bekommen. Viele Eltern sind schlussendlich ziemlich allein mit dem neuen Erdenbewohner. Und oft ist es die Mutter, die mit dem Neugeborenen und allen Fragen und Sorgen auf sich gestellt ist. Einerseits, weil oft der Partner viel arbeiten muss, aber auch, weil es der Mutter gesellschaftlich gesehen immer noch an Unterstützung vom Partner fehlt.
Instabile Lebenssituation
Viele Neu-Mütter haben Stress aufgrund von finanziellen Problemen. Ein Kind bedeutet auch erhöhte Kosten und viele Amtsgänge, die es zu erledigen gilt. So kann es zu Zukunftsängsten kommen, zu Problemen in der Partnerschaft, Streit und damit einhergehenden Ängsten eine „schlechte Mutter“ zu sein. Auch die Sorge, die Karriere einzubüßen oder diese nun mit der Care-Arbeit verbinden zu müssen, Freundschaften oder den sozialen Anschluss zu verlieren, können in der Anfangsphase und im ersten Jahr nach der Geburt belastend sein. Befindet sich die Mutter zudem in einer instabilen, oder gar toxischen Beziehung, erhöht sich das Risiko einer postpartalen Depression. Denn nicht nur der fehlende Rückhalt und das fehlende Verständnis vom Partner wirken sich negativ auf die psychische Stabilität von Mutter und Kind aus, eine solche Partnerschaft an sich stellt schon eine große Belastung dar.
Postpartale Depression oder Babyblues – wo ist der Unterschied?
Es muss zwischen einem „Babyblues“ und einer postpartalen Depression unterschieden werden. Doch: Wo ist der Unterschied? Beim „Babyblues“ ist häufig verniedlichend der Zustand nach der Entbindung gemeint, bei dem große Erschöpfung und der Abfall der Schwangerschaftshormone eintritt. Dieser Zustand hält meist nicht lange an und reguliert sich nach wenigen Tagen bis zu einer Woche wieder im Unterschied zur postpartalen Depression, wo dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält oder ungewöhnlich stark auftritt.
Wie erkenne ich eine postpartale Depression?
Die Grenzen von Erschöpfung, „Babyblues“ und postpartaler Depression können fließend und Merkmale sehr ähnlich sein. Wann spricht man von einer postpartalen Depression?
Folgende Punkte sind Indizien für eine postpartale Depression:
Ein tiefes Gefühl von Traurigkeit
Gefühllosigkeit oder Leere (auch dem Baby gegenüber)
Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Anspannung
Extreme Erschöpfung
Psychosomatische Beschwerden, wie Schlaflosigkeit, Verdauungsbeschwerden, Herzbeschwerde, Schmerzen
Gedankenkreisen, Grübeln, Gedankenkarussell
Starke Angstgefühle rund um das Baby
Kontrollzwang und andere Zwänge, repetitive Verhaltensweisen
Ständige Angst vor Katastrophen
Unerlässliche Sorge um den plötzlichen Kindstod
Zukunftsangst
Das Gefühl gefangen zu sein
Starke Schuldgefühle aufgrund des ausbleibenden Glücksgefühls
Sollten mehrere dieser Punkte über einige Wochen hinaus anhalten, können sie Hinweise auf eine postpartale Depression geben.
Eine postpartale Depression dauert, anders als der „Babyblues“, länger als zwei Wochen.
Test: Bei Unsicherheit, ob bei dir selbst, deiner Partnerin oder einer anderen Mutter eine postpartale Depression vorliegt, geht es hier zum AllyWell Test für postpartale Depressionen.
Wie lange dauert eine postpartale Depression?
Wie lange die Symptome einer postpartalen Depression anhalten, variiert von Mutter zu Mutter zwischen mehreren Wochen bis zu einem Jahr nach der Geburt, manchmal sogar darüber hinaus. Dabei kommt es auch auf die Unterstützung an, die die Mutter erhält. Ohne Behandlung können die Symptome länger bestehen bleiben oder stärker werden. In wenigen Fällen und bei entsprechender genetischer Disposition können sie sich auch zu einer postpartalen Psychose ausbilden.
Postpartale Psychose
Immer wieder im Zusammenhang von postpartaler Depression und Wochenbettdepression liest man auch von der postpartalen Psychose. Wo ist hier der Unterschied?
Eine postpartale Psychose kann ähnlich verlaufen wie eine postpartale Depression. Zusätzlich zu den Symptomen der postpartalen Depression können noch folgende Punkte auftreten:
Paranoia
Verwirrung und Probleme, klare Gedanken zu fassen
Seltsames oder nicht nachvollziehbares Verhalten
Das Baby kann als „das Böse“ angesehen werden. Oder auch als magisches oder gottähnliches Wesen
Hyperaktivität
Schlaflosigkeit
Die Ängste das Baby betreffend werden irreal
Wahnvorstellungen
Halluzinationen
Aggressionen
Schwere Depression oder manische Euphorie
Kommunikationsprobleme
Vertuschen oder verneinen der Symptome
Gedanken an Selbstverletzung oder Verletzung des Kindes
Vernachlässigung des Babys
Bei einer postpartalen Psychose liegt Kindeswohlgefährdung vor und die Mutter benötigt dringend Hilfe.
Männer und postpartale Depression
Auch Männer können eine postpartale Depression erleben, was noch wenig bekannt ist. Wenngleich Männer fast genauso oft betroffen sind wie Frauen. Die Form der väterlichen postpartalen Depression wird auch als "paternale postpartale Depression" bezeichnet. Auch hier treten Symptome wie tiefe Traurigkeit, Erschöpfung, Angst, Reizbarkeit und eine Veränderung in Appetit und Schlaf wenige Wochen nach der Geburt des Kindes auf.
Bei Männern liegen die Ursachen in familiärer und persönlicher Disposition und können durch Schlafmangel, Stress und fehlende Unterstützung begünstigt werden. Das allgemeine Rollenbild des Mannes in der Gesellschaft als Versorger kann ebenso zu einer großen psychischen Herausforderung für Neu-Väter werden.
Bei einer komplizierten, langen Entbindung erleben viele Männer ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Dieses Gefühl kann sich halten und sollte in Beratungsgesprächen oder einer Psychotherapie aufgearbeitet werden. Auch Männer mit einer postpartalen Depression benötigen Hilfe.
Postpartale Depression – was kann ich tun?
Bei einer postpartalen Depression brauchen Betroffene Hilfe. Denn die Wochenbettdepression und auch die postpartale Psychose sind ernstzunehmende Zustände, die mit psychologischer und psychiatrischer Hilfe abgemildert und beendet werden können. Wie kann das aussehen?
Entlastung bei postpartaler Depression
Die betroffene Familie oder Mutter braucht Entlastung. Hier gilt es, das familiäre und soziale Umfeld, um Hilfe zu bitten und die eigenen Ressourcen zu prüfen. Wenn es keine Unterstützung im Umfeld gibt, sollte zügig der Hausarzt involviert werden, der weitere Schritte einleiten kann. Es gibt auch die Möglichkeit, über die Krankenkasse eine Haushaltshilfe zu beantragen.
Schlaf
Der Schlafentzug nach einer Geburt kann extrem sein. Bei einer postpartalen Depression kann Schlaf eine deutliche Verbesserung bringen. Hier gilt es, die Schlafsituation zu überdenken. Kann der Vater sich nachts um das Kind kümmern, sodass die Mutter sich ausruhen kann? Was braucht die Mutter, um loslassen zu können? Nimmt das Kind nachts die Flasche?
Als Eltern sollte man versuchen immer dann zu schlafen, wenn das Kind schläft. Es ist keine Schwäche sich tagsüber hinzulegen und zu schlafen, sondern für den Körper und die eigene Gesundheit von enormer Wichtigkeit.
Zusätzlich kann hausärztlich oder psychiatrisch abgeklärt werden, ob die Gabe von Beruhigungs- oder Schlafmitteln eine Option ist.
Gefühle zulassen und darüber sprechen
Während einer postpartalen Depression empfinden Frauen große Einsamkeit und haben das Gefühl, allein mit ihren Problemen dazustehen. Das stimmt aber nicht. Es gibt sehr viele Frauen, die ähnliches durchlebt haben und durchleben. Es ist sehr entlastend, über die Gedanken und Gefühle ganz offen zu sprechen. Wenn ein Austausch im Umfeld nicht möglich ist, sollte ein regelmäßiges Beratungsgespräch oder eine Psychotherapie stattfinden. Parallel hilft es, Gedanken und Gefühle in einem Gefühlstagebuch aufzuschreiben – auch das kann psychischen Druck abmildern.
Bedürfnisse erkennen
Ähnlich wie bei einem Mama-Burnout vernachlässigen junge Mütter mit einer postpartalen Depression häufig sich selbst. Beispielsweise essen sie unregelmäßig bis gar nicht, duschen und pflegen sich unzureichend, gehen nicht mehr raus und brechen den Kontakt zu Freunden und Familie ab. Die Scham über den eigenen Zustand und die eigenen Gefühle werden als erdrückend und ausweglos wahrgenommen. Aber auch wenn Mütter nach außen gut funktionieren, sie scheinbar alles hinbekommen, kann eine postnatale Depression vorliegen. Oft findet man hier eine Vernachlässigung psychischer Bedürfnisse der Mutter. In diesem Zusammenhang sind Routinen sehr wichtig und sollten auch und besonders bei einer postpartalen Depression eingeführt und beibehalten werden.
Bindung zum Baby aufbauen
Um die Bindung zwischen Mutter und Baby zu stärken, ist es wichtig, die Mutter im Umgang mit dem Baby anzuleiten und zu stärken. Beispielsweise hilft es Müttern, mehr über das „Handling” von Babys zu erfahren und in entspannter Atmosphäre zu üben. Auch das „Baby Lesen” kann helfen, die Bedürfnisse des Säuglings richtig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Unterstützung beim Füttern oder Stillen führt oft zu weniger Beschwerden auf körperlicher Ebene (Brustentzündung, Koliken) und stärkt zudem die Bindung zwischen Mutter und Baby. Eine liebevolle Begleitung durch pädagogische oder psychologische Fachkräfte ist dabei von großer Bedeutung.
Nach einer traumatischen Geburt oder bei fehlender Bindung kann von einer geschulten Hebamme ein „Rebonding“ durchgeführt werden. Dabei sind Mutter und Kind beispielsweise zusammen in der warmen Badewanne und legen sich anschließend Haut an Haut ins warme Bett. So können sie in friedlicher und schmerzloser Atmosphäre, liebevoll begleitet, neu zueinanderfinden.
Beraten lassen – Hilfe bei postpartaler Depression
Es kann sehr hilfreich sein, sich beraten zu lassen. Das Jugendamt, die Caritas, Profamilia aber auch die kirchliche Gemeinde können hier erste Anlaufstellen sein. Häufig haben Mütter mit postpartalen Depressionen Angst, man könne ihnen das Kind „wegnehmen“, weil es ihnen so schlecht geht. Das stimmt aber nicht – es gibt Hilfe und es ist gut, diese in Anspruch zu nehmen.
Auch unsere Allywell Coaches bieten dir oder euch individuelle Unterstützung bei den unterschiedlichsten Herausforderungen im Familienleben, um sich zum Beispiel präventiv vor postpartalen Depression zu schützen. Unsere Expert:innen helfen euch mit Übungen und Gesprächen, um an diesem Thema zu arbeiten.
Fazit
Die Zeit nach der Entbindung, das Wochenbett und das ganze erste Jahr mit einem Säugling ist eine Achterbahn der Gefühle. Nicht selten treten bei Müttern und Vätern postpartale Depressionen auf. Mit der richtigen Hilfe können die Symptome schnell abgemildert werden. Selbstfürsorge, offene Gespräche über die nie dagewesenen Gefühle und Gedanken können den psychischen Druck nehmen und das Leben mit Baby deutlich schöner und entspannter werden lassen.
Unsere psychologischen Mentorinnen stehen dir über unsere App AllyTime auch persönlich zur Seite.