Überlebenstipps für das erste Jahr mit Baby: Klein, aber oho!

fachlich geprüft von Lea Siemann (Dipl. Pädagogin)

Hurra, das Baby ist da! Nach langem Warten, Nestbau und Pläneschmieden ist der neue Erdenbewohner in die eigenen vier Wände eingezogen und plötzlich ist (meist) alles anders als man es sich vorgestellt hat.

Diese kleinen Händchen, dieser betörende Duft, und diese Liebe, wie man sie noch nie zuvor gespürt hat – die ersten Wochen mit einem Neugeborenen können magisch sein. Gleichzeitig erleben viele frisch gebackene Eltern diesen Abschnitt als ungeahnt herausfordernde Phase.

Gründe hierfür: Schlafentzug, Schwierigkeiten beim Stillen, Koliken beim Baby, vielleicht sogar eine Wochenbettdepression. Obendrein viele unbeantwortete Fragen und verunsichernde Ratschläge von Familie und Freunden. Oft spüren frische Eltern einen großen Leistungsdruck, da sie ihre Rolle als Mama und Papa noch nicht gefunden haben. Alles in allem kann das vorher wohlgeordnete Miteinander ordentlich durcheinandergewirbelt werden.

Das erste Jahr ist geprägt von so vielen besonderen Momenten: das erste Lachen, das erste Drehen, Krabbeln, vielleicht sogar Laufen. Viele dieser Erlebnisse können wunderschön und erfüllend sein. Gleichzeitig sind auch Augenringe, immer schmutzige Kleidung, Haarausfall, Wäscheberge, Angst etwas falsch zu machen, Erschöpfung und Streit zwischen den Neu-Eltern oft die Realität im ersten Jahr mit Baby. Psychosomatische Körperreaktionen bis hin zum Mama-Burnout können hier die Folge sein.

Dieser Artikel soll auf die Unwägbarkeiten der ersten 356 Tage mit Kind vorbereiten und einfache Hilfestellungen geben. Ein Leitfaden mit Tipps für das Leben und Überleben mit Neugeborenem bis zum Ende der Baby-Phase.


Lesezeit 25 Min


Geschrei und Schlafentzug

Neugeborene Babys schreien und können Eltern den Schlaf rauben. In der Theorie weiß das jeder. Doch überwältigt die meisten Eltern die Praxis. Neue Eltern spüren schnell: Es geht nicht mehr um sie und ihre Bedürfnisse. Das Baby schreit! Weil es Hunger hat. Weil es kalt ist. Weil es überstimuliert ist. Weil es Bauchweh hat. Weil die Windel feucht ist. Weil es ununterbrochen Körperkontakt braucht, um sich sicher zu fühlen. Es braucht Zeit, um die Signale des Babys kennenzulernen, einzuordnen und angemessen darauf reagieren zu können.

Wer obendrein ein High-Need-Baby hat, ist besonders herausgefordert. Nichts scheint den kleinen Schreihals zum Schweigen zu bringen. Völlige Hilflosigkeit und ein Gefühl von Ohnmacht können sich einstellen.

Tipp: Macht euch klar, dass es eurem Baby gut geht. Dass das Schreien normal ist. Sollte das Schreien allerdings über Tage anhalten und euer Baby gar nicht mehr zu beruhigen sein, sucht einen Kinderarzt auf. Auch eine Schreiambulanz kann hier Hilfestellung leisten – auch telefonisch.

An die eigenen Bedürfnisse denken

Während sich nun alles um die Bedürfnisse des Babys dreht, rutschen die Wünsche der Eltern oft hintenüber. Essen, Duschen, eine ruhige Minute stumpf ins Handy gucken, ein Telefonat mit Freunden oder Familie führen, mal kurz um den Block schlendern, Sport. Alles Dinge, die vorher so normal waren, dass sie keiner Erwähnung bedurften, werden auf einmal ein Ding der Unmöglichkeit.

Nichts geht mehr wie vorher, jedenfalls nicht, ohne alles akribisch auf den Wach-Schlaf-Hunger-Stuhlgang-Rhythmus des Babys anzupassen – ganz besonders, wenn das Baby gestillt wird.

Tipp: Versucht gemeinsam eine machbare Routine einzuführen, wobei jeder von euch sich diese Grundbedürfnisse erfüllen kann. Schlaft abwechselnd, führt ein Schichtsystem ein, schlaft getrennt, so dass der andere Partner sich wirklich ausruhen kann. Bestellt euch essen oder taut was auf. Das erste Jahr mit Baby ist nicht die Zeit für kulinarische Kapriolen.

First Things First – erst du, dann das Baby

Denk daran: Das erste Jahr mit Baby ist ein Marathon, kein Sprint! Deshalb bedienen sich Hebammen, Kinderärzte aber auch Psychologen in diesem Zusammenhang häufig an dieser Metapher:

Bei einem Druckabfall in einer Flugzeugkabine, gilt es immer erst, sich selbst die Sauerstoffmaske aufzusetzen und dann dem Kind. Denn nur, wenn du mit Sauerstoff versorgt und bei vollem Bewusstsein bist, kannst du das Kind am Leben halten.

Übersetzt man die Metapher für den Alltag mit Neugeborenem und Baby, kann man den Sauerstoff symbolisch durch alles ersetzen, dass du zum Überleben brauchst. Das sind vordergründig etwas zu essen, etwas zu trinken und Schlaf. Achte also darauf, dass zumindest diese überlebenswichtigen Must-haves erfüllt sind.

Schlaf, wenn das Baby schläft!

Immer wieder bekommt man den Rat zu schlafen, wenn das Baby schläft. Nicht wenige Eltern schütteln empört den Kopf, denn der Wäscheberg will gewaschen, der Müll runtergebracht und das Essen gekocht werden. Der Abwasch, der Einkauf, die Krümel auf dem Boden, die Fläschchen, die schmutzigen Laken – darum muss man sich doch kümmern. Oder?

Tipp: Versucht eure Ansprüche runterzuschrauben und euch keinen Druck zu machen. Es wird eine Zeit kommen, in der es bei euch wieder ordentlich und vorzeigbar aussehen wird. Nutzt die Ruhephasen, um euch auszuruhen oder etwas zu tun, was dir guttut und nur für dich ist.

Kleine Kinder, kleine Probleme – die Erwartungen der anderen

Ein Aspekt, der das erste Jahr mit Baby unnötig schwer macht, ist der Blick der jungen Eltern nach außen. Ungefragt teilen einem Freunde, die Familie, Ärzte und Momblogger auf Instagram und TikTok mit, wie es läuft und zu laufen hat mit Baby. 

Das Fiese daran: müde, verunsicherte und völlig übernächtigte Eltern haben wenig Resilienz, weshalb sie in ihrer Verzweiflung besonders leicht zu verunsichern und zu beeinflussen sind. 

„Kleine Kinder, kleine Probleme. Große Kinder, große Probleme“, „wartet ab, bis das Baby erst mal in die Autonomiephase kommt“, „lasst euch nicht auf der Nase rumtanzen“, „schnell ein Geschwisterchen, dann hat's wen zum Spielen“ – solche und viele andere Sätze haben wohl alle jungen Eltern sich gefallen lassen müssen. 

Auch Fragen wie „Trage oder Kinderwagen?“, „Flasche oder Brust?“, „Schlaftraining oder Familienbett“ – wer will, kann sich vom bekannten und unbekannten Umfeld in eine lähmende Schockstarre zugrunde „beraten“ lassen. 

Tipp: Hör auf dein Bauchgefühl! Du bist die beste Mama für dein Kind, ihr die besten Eltern. Macht es so, wie es sich für euch so gut wie möglich anfühlt. Seid achtsam, lauscht in euch und versucht mit eurem Kind zu schwingen. Stellt das Umfeld in den ersten Monaten auf lautlos, wenn es euch nicht guttut. Minimiert es bestenfalls auf das Allernötigste.

Hauptsache gesund – die Erwartungen an dich selbst

Neben dem meinungsstarken Umfeld können auch die Erwartungen der neuen Eltern an sich selbst in ihrer neuen Rolle eine Hürde im ersten Jahr mit Baby darstellen. Hier geht es nicht nur um das äußere Erscheinungsbild, die saubere Wohnung oder das selbstgebackene Sauerteigbrot; sondern vielmehr um die Frage: Welche Mutter will ICH sein? 

Während top gestylte, ausgeschlafene, gertenschlanke Momblogger auf Instagram und TikTok mit ausgekochten Avocadokernen handgewebte Musselintücher färben und ihre Babys kichernd fotogen darin drapieren und alles einfach schwerelos erscheint, straft der Blick neben den Filterblasen-Bildschirm einen eiskalt ab. 

Der Bauch ist noch groß und weich, die Brüste rot und geschwollen, die Wohnung chaotisch, das Baby hat seit zwei Tagen den gleichen Second-Hand-Body an und alles ist so ganz und gar nicht avocadokernig. Bin ich eine schlechte Mutter? Mache ich was falsch? – diese und viele andere destabilisierende Fragen kommen schnell auf im ersten Jahr mit Baby. 

Tipp: Versuch dich in der Kunst der Iffirmation. Was sind Iffirmationen? Iffirmationen sind eine Abwandlung von Affirmationen. Affirmationen werden verwendet, um sich selbst oder anderen Mut zu machen, Glaubenssätze zu überschreiben oder die Achtsamkeit zu schärfen. Das können im Kontext des ersten Jahres mit Baby Sätze sein wie: „Ich bin eine gute Mutter“ und „Ich bin genug für mein Baby“, „Alles wird gut“, usw. 

Das Problem bei Affirmationen kann sein, dass man sie sich selbst nicht über den Weg traut. Denn wer gerade das Gefühl hat, zu versagen oder seiner Rolle nicht gerecht zu werden, kann Probleme damit bekommen, sich selbst zu glauben.

Iffirmationen können den eigenen inneren Kritiker, der bei großer Erschöpfung und starken Selbstzweifeln besonders laut sein kann, austricksen. Und zwar, indem man Wenn-Fragen (Englisch: if) stellt.

Iffirmationen könnten im ersten Jahr mit Baby zum Beispiel sein: „Was wäre, wenn ich doch eine gute Mutter bin?“, „Was, wenn mein Kind einfach ganz normal ist?“, „Was, wenn ich mir einfach so viel Gedanken mache, weil ich so müde bin“, „Was, wenn die Mom-Bloggerin es auch schwer hat und mit dem Zuschaustellen ihres Intimlebens davon ablenken will?“. 

Die Formulierung als Frage kann das Gesagte oder Gefragte deutlich möglicher machen. Auch verändert es den Blick auf sich selbst und lässt Raum für Selbstmitgefühl. So formuliert können Sätze es erlauben, die eigene Situation von einer anderen Perspektive zu betrachten. 

Plötzlich Mama, aber auch immer noch Kind – Zeit für Wachstum

Ein Aspekt, den viele werdende Eltern unterschätzen, ist, dass die Geburt eines Babys einen auf eine Reise in die eigene Kindheit schickt. Der Bodensatz dieser wird plötzlich aufgewühlt und das eigentlich so klare Bild über das eigene Sein, die Rolle in der Welt, der Paarbeziehung, der Gesellschaft, im Job kann milchig eingetrübt und durcheinandergewirbelt werden. Ja, die gesamte Identität und Persönlichkeit kann sich ändern.

„Ein Kind verändert euer Leben, für immer“ – was dieser oft gesagte Satz wirklich bedeutet, in seiner ganzen Konsequenz, kann man sich unmöglich vorstellen, bevor das Baby da ist. Er bedeutet so viel mehr als die Umstände im Außen. 

Tipp: Versuch die Zeit als Chance für inneren Wachstum zu sehen. Schau, was da in dir hochgewirbelt wird, was für Gefühle, welche Muster, welche Bewältigungsstrategien. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der dich ganz nah an deine eigenen Bedürfnisse führen kann. Wer hier in eine Identitätskrise gerät, sollte sich psychotherapeutische Unterstützung holen.

Dreisam einsam? – was ihr für eure Liebe tun könnt

Das Baby raubt euch den Schlaf, die Nerven und auch die Zweisamkeit. Zärtlichkeiten, Sex und Nähe kommen in der Paarbeziehung nicht selten zu kurz im ersten Jahr mit Baby. Das kann frustrieren und die Beziehung sogar instabil werden lassen. Stress und Streit sind da vorprogrammiert. Man bekommt sich wegen der nichtigsten Nichtigkeiten in die Haare, weil man so müde ist. Macht euch immer wieder klar: Das ist normal und das geht allen so.

Tipp: Beschließt, das erste Jahr keine zu hohen Erwartungen zu haben. Prüft eure Ressourcen und schaut, wo eure Prioritäten liegen – schreibt sie auf und pinnt sie euch an den Kühlschrank. So vergesst ihr sie nicht. Im ersten Jahr mit Baby ist es wichtig, dass ihr euch gegenseitig beim Mental Load unterstützt, euch so gut es geht entspannt und euch nicht verliert. Alles andere ist Luxus.

Daddy Issues 2.0 – den Partner in der Vaterrolle neu lieben lernen

Den Partner in der Elternrolle kennenzulernen, kann eine echte Herausforderung sein. Einerseits kann der Partner unsicher wirken und damit vielleicht weniger stark und männlich, als man ihn kennengelernt hat. 

Oder er ist kontrollierend, zu wenig hilfsbereit, nicht emphatisch genug, zu fürsorglich und einfach anders als vorher. Auch kann es passieren, dass man an seinen eigenen Vater erinnert wird und vielleicht sogar ein wenig in die Rolle der Tochter rutscht. Fakt ist: Beziehungen verändern sich mit einem gemeinsamen Kind.

So können sich dann auch die Gefühle zum Partner verändern. Genervtheit, Enttäuschung, Gereiztheit und Resignation sind Emotionen, die hier hochkommen können. 

Tipp: Versucht gnädig mit eurem Partner zu sein. Auch der Vater eures Kindes muss die Geburt verkraften, die erlebte Hilflosigkeit, die schlaflosen Nächte und die noch nicht definierte Rolle als Elternteil. Sprecht miteinander, wenn es die Zeit und die Kraft erlauben! Verzeiht, seit mitfühlend so weit es geht und lasst Kleinigkeiten einfach weiterziehen.

Trennung vom Kindesvater im Babyjahr?

Nicht selten entwickeln sich Beziehungsprobleme, die vorher nur im Verborgenen vor sich hin geschwelt haben, zu einem akuten Brand. Dysfunktionale Tendenzen in einer Partnerschaft können im ersten Jahr mit Baby plötzlich offensichtlich werden. Eine toxische Beziehung raubt die eh schon nicht vorhandene Energie und gefährdet die psychische Gesundheit aller Familienmitglieder.

Soll ich um jeden Preis mit meinem Partner zusammenbleiben? Oder soll ich mich als Alleinerziehende versuchen? Das sind Fragen, die junge Mütter sich im ersten Jahr mit Baby häufig stellen. 

Tipp: Trenne dich nicht vorschnell. Lasst euch beraten, beispielsweise bei einer Paarberatung, der Erziehungsberatung oder in einem psychotherapeutischen Setting. Unsere Allywell Coaches bieten euch individuelle Unterstützung bei den unterschiedlichsten Herausforderungen im Familienleben. Unsere Expert:innen helfen euch mit Übungen und Gesprächen, Herausforderungen zu meistern.  

Denn: Nicht selten kann man wegen der großen Erschöpfung nicht mehr klar sehen und trifft vorschnelle Entscheidungen. Sollte die Beziehung allerdings so toxisch sein, dass alle darunter leiden, solltet ihr eine Scheidung oder Trennung in Betracht ziehen. Denn ständige Kämpfe rauben euch die Kraft, die benötigt wird, um das erste Jahr mit Baby zu überstehen und können einen negativen Einfluss auf euer Kind haben.

Das erste Jahr mit Baby – ja, es wird leichter

Begegnet man anderen Eltern mit Kindern, die bereits aus dem „Gröbsten“ raus sind, hört man häufig, dass alles bald leichter wird. Bald ist das Kind robuster, schläft vielleicht durch, bald sind die Entwicklungsschübe nicht mehr so extrem, das Zahnen überstanden, es wird abgestillt, das Kind vielleicht in die Krippe oder andere Fremdbetreuung gegeben. 

Vielleicht kann die Mutter sogar wieder in ihren Beruf einsteigen und so ihre Sorgen und Existenzängste etwas zähmen. 

Tipp: Wenn ihr mögt, tauscht euch mit erfahrenen Eltern aus. Solchen, die nicht ungefragt Ratschläge geben, sondern nur gefragt ihre kostbaren Lebenserfahrungen mit euch teilen. Klar, alle Kinder sind unterschiedlich, doch das erste Jahr mit Baby ist für alle anstrengend. 

Fazit

Ja, es stimmt. Das erste Jahr ist eine Wundertüte, die alles bietet. Schöne, lustige, leichte und bezaubernde Momente und Phasen können auf euch warten, die ihr immer genießen dürft. Und ja, das erste Jahr ist auch oft hart. Aber alles wird leichter – versucht euch darauf zu verlassen. Ihr werdet mit euren Aufgaben wachsen und euer Baby wird größer und selbstständiger werden.

Dein Fokus sollte auf Selbstfürsorge, Akzeptanz und dem Vertrauen auf dein Bauchgefühl liegen.


Unsere psychologischen Mentorinnen stehen dir über unsere App AllyTime auch persönlich zur Seite.


Zurück
Zurück

Ist mein Partner depressiv – was kann ich tun?

Weiter
Weiter

Frustrationstoleranz fördern bei Kindern: Tipps und Übungen