Mein Kind will nicht in die Schule - Praktische Tipps & Hilfsmittel bei Schulangst
✔ fachlich geprüft von Elena Cathrin Knie (Psychologin)
Für Eltern ist es oft eine große Herausforderung, wenn ihr Kind nicht in die Schule gehen kann. Die Gründe hierfür können vielfältig sein und reichen von allgemeiner Unlust bis hin zu ernsthafter Schulangst. In unserem ersten Artikel Schulangst: Warum will mein Kind nicht in die Schule? haben wir uns intensiv mit den Ursachen und Symptomen von Schulangst auseinandergesetzt sowie verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt. In diesem Beitrag möchten wir den Fokus noch stärker auf praktische Tipps und Hilfsmittel legen, die dich und dein Kind in Situationen der Schulangst unterstützen können.
Schulangst ist ein komplexes Thema, das individuell betrachtet werden muss. Jedes Kind ist anders, und was bei einem Kind hilft, ist bei einem anderen möglicherweise nicht wirksam sein. Daher ist es wichtig, die spezifischen Bedürfnisse und Ängste des Kindes zu verstehen und darauf einzugehen.
Lesezeit: 15 Min
Schulangst - Die wichtigsten Infos kurz zusammengefasst
Die gute Nachricht ist: Du hast JETZT schon den wichtigsten Schritt gemacht, indem du dich mit dem Problem Schulangst für dein Kind aktiv auseinandersetzt. Schulangst ist ein ernstzunehmendes Thema, das frühzeitig angegangen werden sollte. Je länger diese Ängste ungelöst bleiben, desto größer ist die Gefahr, dass sie sich auf andere Lebensbereiche ausweiten und generalisieren.
Schulangst ist das Erleben von Angst vor oder während des Schulbesuchs. Davon abzugrenzen sind die Schulphobie (Vermeidungsverhalten ohne direkten Bezug zur Schulsituation - hier spielt vielmehr Trennungsangst die zentrale Rolle) und das Schulschwänzen (Vermeidung von Unlust, Anstrengung und Mühen).
Die Gründe, warum Kinder nicht zur Schule gehen wollen und Angst haben, sind vielfältig und oft komplex. Zu den häufigsten Ursachen zählen Leistungsängste, Prüfungsangst, Mobbing durch Mitschüler:innen, Angst vor Lehrer:innen oder soziale Ängste. In manchen Fällen lässt sich die Angst nicht einmal auf eine konkrete Ursache zurückführen.
Manchmal können die Kinder die Schulangst nicht konkret benennen und die Symptome äußern sich psychosomatisch: Kinder können körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit entwickeln, die direkt mit der Angst vor der Schule verbunden sind. Diese Symptome sind ernst zu nehmen, da sie sowohl auf eine starke emotionale Belastung hinweisen als auch die Lebensqualität des Kindes erheblich beeinträchtigen können.
Eltern & Schulangst: Wie gehe ich mit dem Thema um?
Die Art und Weise, wie du als Elternteil mit dem Thema Schulangst umgehst, spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung des Problems. Eine aktive, unterstützende Haltung ist sehr wichtig. Es ist entscheidend dabei nicht nur das Problem zu erkennen, sondern auch aktiv nach Lösungen zu suchen und dein Kind im Prozess zu begleiten. Sich hierbei Hilfe zu holen ist dabei kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Aufgeklärtheit und Stärke.
Offener Umgang mit dem Thema
Sprich mit deinem Kind offen über seine Ängste und Sorgen. Dein Kind lernt so, dass es etwas Gutes ist offen über Ängste und Sorgen zu sprechen. Es fühlt sich womöglich verstanden und weiß, dass es mit seinen Gefühlen nicht allein ist. Diese Gespräche können euch helfen, die spezifischen Ursachen der Schulangst besser zu verstehen und gemeinsam Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.
Belohnen statt bestrafen
Kinder reagieren positiv auf Anerkennung und Verstärkung für ihre Anstrengungen und Erfolge. Anstatt dein Kind für seine Ängste oder das Vermeiden der Schule zu tadeln, versuche, kleine Fortschritte und positive Verhaltensweisen zu belohnen. Dies kann in Form von Lob, kleinen Belohnungen oder gemeinsamen Aktivitäten erfolgen. Durch diesen Ansatz stärkst du das Selbstbewusstsein deines Kindes und förderst eine positive Einstellung zur Schule. Belohnungen sollten dabei nicht nur auf schulische Leistungen bezogen sein, sondern auch auf die Bemühungen deines Kindes, sich seinen Ängsten zu stellen.
Vernetzung innerhalb der Schule
Suche das Gespräch mit Lehrer:innen und gegebenenfalls auch mit Schulpsycholog:innen, Sozialarbeiter:innen oder Vertrauenslehrer:innen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule kann maßgeblich dazu beitragen, die Situation für dein Kind zu verbessern. Gemeinsam können individuelle Lösungsansätze entwickelt werden, die auf die speziellen Bedürfnisse deines Kindes abgestimmt sind.
Soziales Umfeld stärken
Ermutige dein Kind, soziale Kontakte zu pflegen. Freundschaften können eine große Unterstützung sein und deinem Kind helfen, sich in der Schule wohler zu fühlen. Dabei können außerschulische Aktivitäten oder Hobbys helfen, neue Freundschaften zu schließen und bestehende zu stärken.
Ressourcenarbeit mit deinem Kind
Bei AllyWell legen wir viel Wert auf die Ressourcenarbeit, mit der wir die Selbstwirksamkeit deines Kindes stärken wollen. Die eigenen Ressourcen dienen Kindern (und auch Erwachsenen) als individuelle Schutzfaktoren. Sie bieten deinem Kind Unterstützung dabei, Aufgaben und Ziele zu bewältigen, Belastungen zu meistern, in Krisenzeiten Hoffnung zu finden sowie ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu stärken. Viele unserer Übungen zielen auf die Ressourcen deines Kindes ab.
Konkrete Übungen für Eltern & Kinder, um mit der Schulangst umzugehen
Allgemeine Übungen zur Ressourcenarbeit
Du kannst dein Kind vor allem bei der Ressourcenarbeit unterstützen. Hierbei geht es darum, den Kindern die eigenen Ressourcen (z.B. Stärken, soziale Faktoren, Eigenschaften) bewusst zu machen und immer wieder vor Augen zuführen.
Eine schöne Familienübung ist dabei die Ressourcendusche, in der dein Kind (und auch du als Elternteil) Wertschätzung von der ganzen Familie bekommt und so seine Stärken und Besonderheiten in seiner ganze Vielfältigkeit erfahren kann.
Ergänzend dazu kann eine Ressourcenhand gezeichnet werden. Diese visualisiert noch einmal auf einen Blick die größten Stärken deines Kindes - durch die Verbindung zur eigenen Hand, hat das Kind diese leichter abrufbar vor Augen. Gerade auch für Kinder die gerne basteln, ist die Ressourcenhand eine tolle Übung.
Möchte man eine Übung machen, die anfassbar ist aber über fünf Stärken hinausgeht, eignet sich die Schatztruhe der Ressourcen besonders gut. Die Schatztruhe beinhaltet die Ressourcen deines Kindes, so dass es immer wieder darauf zurückgreifen kann. Gleichzeitig kann die Truhe immer wieder geöffnet und um neue Ressourcen ergänzt werden.
Will man das Thema Ressourcen noch spielerischer oder auch mal zwischendurch angehen, eignet sich unser Spiel “Ich packe in meinen Ressourcenkoffer” hierfür hervorragend. An diesem Spiel können alle Familienmitglieder teilnehmen und dein Kind erkennt so schnell, dass wir alle über unterschiedliche Ressourcen verfügen.
Notfallkoffer packen
Eine besondere effektive Übung für den Schulalltag ist der Ressourcen-Notfallkoffer. Dieser fokussiert sich auf die Dinge, die deinem Kind am besten helfen. Sollte dein Kind irgendwann in eine Schulangst-Situation kommen, kann es direkt auf den Notfallkoffer zugreifen.
Der Vorteil gegenüber den anderen Übungen ist, dass dein Kind diese Ressourcen sofort parat hat. Dies ist besonders in Angstsituationen wichtig, da wir hier nur schlecht denken können und möglichst Automatismen greifen sollten.
Schule am Wochenende besuchen
Oft ist auch der Ort “Schule” schon mit Angst besetzt. Es kann helfen, wenn man die Schule auch einmal am Wochenende in einem anderen Kontext besucht. Vielleicht gibt es dort einen Basketball- oder ein Fußballfeld, auf dem du mit deinem Kind spielen kannst. Oder ihr veranstaltet zusammen mit einem Freund oder Freundin ein Schnitzeljagd auf dem Schulhof?
Manchmal hilft es auch gemeinsam mit seinem Kind am Wochenende den Schulweg zu üben - vielleicht in Verbindung mit einem größeren Ausflug?
Es geht darum, mit dem Ort Schule in Berührung zu kommen - ohne dass dein Kind den angstauslösenden Situationen (z.B. sich melden, “ausgefragt” werden…) ausgesetzt ist. Deshalb könntet ihr das Thema Angst einfach einmal weglassen. Möchte dein Kind dennoch darüber sprechen oder bekommt trotz Wochenende / spielerischem Herantasten Ängste ist es natürlich wichtig, dass du darauf reagierst. Vielleicht loht es sich auch diese Übung Schritt für Schritt zu machen. Frage dein Kind doch auch einmal nach Ideen…
Tipps & Übungen für Dein Kind, um mit der Schulangst umzugehen
Unser Erfahrung aus einer Vielzahl von Coachings gegen Schulangst zeigt, dass es für Kinder wichtig ist zwei Arten von “Werkzeugen” zu haben: Übungen, die im Schulalltag direkt unterstützen, und Übungen, die außerhalb der Schule wirken und eher dazu dienen Kraft zu tanken und zu reflektieren.
Übungen für “in der Schule”
Körperübungen
Körperübungen helfen dabei aus Angstsituationen aktiv herauszukommen. Durch die “Körperlichkeit” der Übungen werden Areale im Gehirn aktiviert und wir können uns so in unserer Wahrnehmung erstmal nicht mehr auf die Ängste konzentrieren.
Wir empfehlen Übungen aus dem Buch “Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch” von Claudia Croos-Müller, wie z.B. “Brust reiben/ klopfen”, “Schnauben” und “Hände in die Hüfte stemmen”. Alle diese Übungen sind leicht zu erlernen und schaffen bei vielen Kindern sofort spürbare, erste Ergebnisse, die sie ermutigen weiterzumachen.
Notfallkoffer revisited - Jetzt geht’s ans auspacken
Den Ressourcen-Notfallkoffer, den du zusammen mit deinem Kind gepackt hast, sollte dein Kind, wenn es nötig ist, in der Schule auch auspacken. Es ist daher wichtig, dein Kind immer mal wieder daran zu erinnern: Geh spielerisch mit ihm den Notfallkoffer durch. Vielleicht hast du auch einen Nofallkoffer, den du zusammen mit deinem Kind anschauen kannst? Sprich mit deinem Kind darüber wann du mal deinen Notfallkoffer gebraucht hast und wie es dir geholfen hat.
Übungen für “vor und nach der Schule”
Routinen entwickeln und einhalten
Routinen sind deshalb so wichtig, weil sie ein Gleichgewicht für die Angstsituationen in der Schule bilden können. Sie helfen dabei Sicherheit zu entwickeln, die dein Kind außerhalb der Schule benötigt, um wieder Kraft und Selbstvertrauen “aufzutanken”.
Routinen schaffen Vertrauen, Orientierung und Stabilität und geben einen sicheren Rahmen, in dem sich dein Kind dann frei bewegen kann. Manchmal braucht es eine Zeit lang, bis man Routinen etabliert hat, aber in den meisten Fällen lohnt es sich.
Mehr Informationen zu Routinen findest du auf unserem Blogpost: Die Kunst der Familienroutinen
Gefühlstagebuch
Gefühlstagebücher können unterschiedlich eingesetzt werden: Sie können den Blick auf das positive des Tages lenken oder dabei helfen bestimmte Gefühle besser zu benennen und unter die Lupe zu nehmen. Auch für Kinder, die noch nicht schreiben können, gibt es spezielle Gefühlstagebücher, die man als Eltern gemeinsam mit ihnen ausfüllen kann. Das macht Spaß und man bekommt als Elternteil oft einen ganz neuen Blickwinkel auf die Gefühle des eigenen Kindes.
Auch beim Tagebuchschreiben kann man Routinen entwickeln und so deren Wirkweise verstärken. Aber bitte dran denken: Routine ja, Zwang nein.
Expressives Schreiben
Vor allem für größere Kinder und Jugendliche: Für wen das strukturierte Schreiben in einem Gefühlstagebuch nichts ist, der kann sich dem expressiven Schreiben widmen. Hier können die Gefühle und Gedanken einfach einmal rausgelassen werden. Es ist dabei nicht wichtig, die eigenen Gefühle zu beurteilen oder die Gründe dafür zu ergründen, sondern vielmehr geht es beim expressiven Schreiben darum, das Erfahrene erneut zu empfinden und in sich hineinzuhören: Was trägt mein Inneres, was hat sich in mir angesammelt und was soll davon einfach mal raus?
Gedankenkarussell
Oft haben Kinder (wie auch Erwachsene) das Problem am Abend ihr Gedankenkarussell zu stoppen: Die Gedanken kreisen buchstäblich immer um das Thema Schule und wollen einfach nicht zur Ruhe kommen. Kinder können dann häufig nicht einschlafen und das wachsende Schlafdefizit verstärkt die Schulprobleme. An dieser Stelle kann unsere Übung gegen kreisende Gedanken helfen. Mit ihrer Hilfe kann dein Kind es schaffen seine Gedanken zu ordnen und sie für einen erholsamen Schlaft zu verstauen.